Das u-institut arbeitet zu mehr als 90 Prozent im Auftrag der öffentlichen Hand. Seit 15 Jahren nehmen wir an Ausschreibungen teil, richten uns nach Richtlinien und sind in unserem Partner*innenprojekt Kultur- und Kreativpilot*innen Deutschland sowie seit letztem Jahr mit unserem neuen Projekt CIRCE – dem Creative Impact Research Centre Europe – selbst Durchführende von Vergabeverfahren. Wir machen das mittlerweile sehr sicher und uns passieren auch (nicht mehr) die üblichen Formfehler in den Prozessen. Aber wir kennen zum Beispiel die Herausforderung mit dem eigenen Angebot nicht in das Schema der zu beantwortenden Fragen zu passen und wir wissen, wieviel Energie, Zeit und Ressourcen es kostet, an den Verfahren teilzunehmen:
Oftmals sind es einfach nur Fragen, wie die Zuordnung des Unternehmens zu einer Kategorie, oder das Vorlegen von angestrebten Zielen etc., die sich nicht beantworten lassen. Auch das spezifische Vokabular/ die spezifischen Formulierungen des Vergaberechts ist/sind eine Herausforderung, in welche es sich ohne juristische Expertise von außen erstmal einzuarbeiten gilt. Je nach Größenordnung der Ausschreibung sitzen darüber hinaus meist mehrere Personen an der Antragsstellung und das über mehrere Tage oder sogar Wochen. Das schluckt enorme Kapazitäten, die woanders fehlen. Mit dieser Problematik sind wir wahrscheinlich nicht alleine.
Die „sozial-nachhaltige Beschaffung*“
*Bezeichnung aus einer öffentlichen Konsultation der Bundesregierung zur Transformation des Vergaberechts
Seit wir vor mittlerweile drei Jahren angefangen haben, uns mit unseren eigenen Organisationsstrukturen zu beschäftigen, und als Team entschieden haben, dass wir ein Ort sein möchten, der diskriminierungssensibel, verantwortungsbewusst, intersektional und reflektiert ist (siehe auch unseren Code of Conduct), fallen uns darüber hinaus auch konkrete Hemmnisse und strukturelle wie institutionelle Gegebenheiten auf, die sich mit dem gesellschaftlichen und politischen Ziel und Anspruch nach mehr Gleichberechtigung und Teilhabe nicht vereinbaren lassen. Dabei geht es nicht nur um den Willen, Teilhabe zu ermöglichen, sondern vor allem um gewachsene Verfahren und Abläufe, die dringend überholt und vereinfacht/niedrigschwelliger gestaltet werden müssen, damit eine gleichberechtigte Teilnahme aller Gruppen und Menschen möglich wird.
Zu einer sozial verantwortlichen Beschaffung gehört eine Stärkung von Gleichberechtigung und Diversität mit dem Ziel von mehr Repräsentation und Teilhabe marginalisierter Personen oder Gruppen unter den Auftragnehmer*innen von Vergabeprozessen. Das führt darüber hinaus zu insgesamt besseren und vielfältigeren Ergebnissen im Vergabeprozess. Gerade die Vergabe öffentlicher Gelder sollte nicht nur wirtschaftliche/sozial privilegierte Unternehmen/Personen stärken und so bestehende strukturelle Diskriminierung (Rassismus, Klassismus, Ableismus, Queerfeindlichkeit, …) begünstigen und fortsetzen, sondern diese aktiv abbauen.
Nötige Änderungen betreffen sowohl die praktische Umsetzung von Vergabeprozessen und deren Zugänglichkeit als auch die strategischen Vorgaben, rechtlichen Rahmenbedingungen und angebotenen Möglichkeiten. Die Stärkung von Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und Diversität in der öffentlichen Vergabe muss ein strategisches Ziel sein. Das bedeutet in erster Linie, dass mit dem Wunsch im Vergabesystem eine bessere Teilhabe zu ermöglichen, auch konkrete Veränderungen angestoßen werden sollten. Eine Veränderung in einem etablierten System anzustoßen ist ein Prozess, der Zeit kostet. Die Öffnung der Vergaben mit Fokus auch auf marginalisierte Gruppen passiert nicht dadurch, dass mensch die Formalitäten vereinfacht und darauf wartet, dass sich diejenigen, die sich bisher nicht angesprochen gefühlt haben, von selbst beteiligen.
Diversität und Inklusion – warum das wichtig ist
Die Erreichung sollte mit Zielgrößen messbar gemacht werden. Für die Gestaltung von inklusiven und diskriminierungssensiblen Prozessen öffentlicher Vergabe müssen Personen mit entsprechender Expertise in Diskriminierungssensibilität in Fokusgruppen einbezogen (und für ihre Leistung honoriert) werden. Ein Vorbild für diese Anpassung könnten auch die Bestrebungen einiger gemeinnütziger Organisationen sein, die entsprechende Entwicklungen bereits seit einiger Zeit angestoßen haben: Stichwort „Funding Equity“ bspw. durch den Wellcome Trust (https://wellcome.org/what-we-do/diversity-and-inclusion).
Immer noch entsteht an manchen Stellen und auch in der Berichterstattung viel zu oft der Eindruck, dass Diversität und Inklusion eine Verpflichtung seien. Die Teilhabe aller Menschen und insbesondere auch die Öffnung von Verfahren und Strukturen, um Personen aus marginalisierten Gruppen zu erreichen, ist eine wichtige Chance, um Veränderung und Innovation in ihrer ganzen Bandbreite zu ermöglichen. Teilhabe ermöglicht neue Ideen, Ansätze und Perspektiven, die wir für Veränderung dringend benötigen.
Unternehmerische Innovationen in der öffentlichen Vergabe
Soziale Innovationen sind als Transformationskraft, um gesellschaftliche Herausforderungen zu lösen, glücklicherweise immer stärker Bestandteil politischen Handelns. Unterschiedliche (gesellschaftliche) Herausforderungen brauchen dabei jedoch unterschiedliche Arten von Innovation und damit auch unterschiedliche Ansätze zur Stärkung. Zum Beispiel erfordern aktuelle Herausforderungen wie die Klimakrise mehr antizipierende Innovationen, welche in einem sehr volatilen und ungewissen Umfeld schon jetzt Lösungen für akute Probleme finden.
Hierfür wird von kreativen und sozialen Unternehmer*innen zunehmend das explorative und ergebnisoffene Experiment als alternative Innovationsstrategie angewandt. Hieran muss auch die öffentliche Vergabe anschließen und die Voraussetzungen dafür schaffen, dass solche Innovationen stärker ermöglicht werden. Das bedeutet auch, dass ein Umdenken in der öffentlichen Vergabe stattfinden muss. Bisher wird das Experiment weiterhin vornehmlich in der Wissenschaft verortet, wo sich bspw. mit dem PCP-Verfahren auch bereits entsprechende innovative Herangehensweisen finden. Soziale Innovationen dagegen finden nicht nur in Forschung & Entwicklungs (F&E)-Prozessen statt, sondern auch in der Praxis, im direkten unternehmerischen Handeln. Um dies gemeinwohlorientiert und zielgerichtet einzusetzen, müssen öffentliche Vergaben Lösungserkundungen, Experimente und Prototypenentwicklungen explizit zulassen. Leistungsbeschreibungen und Prozesse müssen überdacht und angepasst werden.
Wo anfangen?
Bei den Teilnahmebedingungen und Formalien lassen sich mit einfachen Mitteln bereits wesentliche Veränderungen anstoßen. Hierfür empfehlen wir beispielsweise die Bildung von einschlägigen Fokusgruppen mit Klein- und Kleinstunternehmer*innen sowie mittelständischen Unternehmen, wo Fragen gestellt und die Bedürfnisse der Akteur*innen gehört werden. So können Vergabeverfahren für diese Zielgruppe neu justiert werden. Ferner unterstützen wir auch die Vereinfachung der Vergabeprozesse und Formalien. Hierfür eignen sich insbesondere Leitfäden und Glossare, niedrigschwellige Erklärungen juristischer Ausführungen, benutzer*innenfreundliche und niedrigschwellige Einreichungsmöglichkeiten und Unterstützung durch entsprechende Ansprechstrukturen. Darüber hinaus möchten wir auch eine Kosten-/Aufwandsentschädigung für Pitches bei Ausschreibungen anregen. Aufwändige Angebots- und Konzepterstellungen kosten gerade in kleinen und mittelständischen Unternehmen enorme Ressourcen, die dann anderweitig fehlen. Diese und weitere Punkte fanden Platz in einer öffentlichen Konsultation der Bundesregierung zur Transformation des Vergaberechts.
Der Artikel entstand anlässlich einer öffentlichen Konsultation der Bundesregierung zur Transformation des Vergaberechts an dem wir als u-institut teilgenommen haben.
Autorinnen: Katharina Schumacher, Katja Armbruckner und Marleen Fitterer (Kooperationsprojekt Kultur- und Kreativpilot*innen Deutschland)