Ein Paradigmenwechsel in der Straffälligenhilfe: Credible Messenger
Ein Paradigmenwechsel in der Straffälligenhilfe: Credible Messenger
Ein Paradigmenwechsel in der Straffälligenhilfe: Credible Messenger

Ein Paradigmenwechsel in der Straffälligenhilfe: Credible Messenger

Kurzinterview mit Jana Sophie Lanio von Tatort Zukunft e. V.

Im Rahmen der BMBF-Maßnahme „Gesellschaft der Ideen“ wurden 2020, in Form eines Ideenwettbewerbs für Soziale Innovationen, 30 Teams ausgewählt, die die Chance erhielten, aus ihrer Idee ein zukunftsfähiges Konzept zu entwickeln. Ein Jahr später wurden auf dieser Basis zehn Teams identifiziert, die ihre Konzeptideen mit Unterstützung wissenschaftlicher Partner*innen in die Erprobung und spätere Umsetzung bringen konnten. Eines dieser Projekte war Credible Messenger. Es unterstützt straffällig gewordene Jugendliche dabei, einen Weg jenseits der Kriminalität zu finden. Drei ehemalige Inhaftierte belgeiten je zwei Jugendliche ein Jahr in Einzel- und Gruppentreffen – mit dem Ziel, ihnen ein straffreies Leben zu ermöglichen.

Insgesamt war Credible Messenger von 2020 bis 2025 Teil der Gesellschaft der Ideen. Dank der Förderung konnte Tatort Zukunft e. V. das Projekt erfolgreich umsetzen. Nach zwei Jahren Erprobungsphase begann Anfang 2024 die Praxisphase, nachdem Tatort Zukunft e. V. den Verein Freie Hilfe Berlin als Umsetzungspartner gewinnen konnte. Diese Phase endete im Februar 2025. Ab März wird das Projekt bis Ende Dezember 2025 und Option auf Verlängerung von der Senatsverwaltung Berlin für Bildung, Jugend und Familie gefördert.

Das Kernteam von Credible Messenger bestand aus Jana Sophie Lanio, die von Anfang an dabei war und das Projekt beim Verein Tatort Zukunft e. V. leitete, sowie Andrea Schulze, Projektleiterin beim Umsetzungspartner Freie Hilfe Berlin e. V., so wie die eigentlichen Hauptpersonen des Projekts, die drei Mentoren Emre, Murat und Alex.
Nach knapp einem Jahr sind sie das erste von vier Teams, das die Praxisphase von Gesellschaft der Ideen beendet. In dieser letzten Phase haben sie ihre gesetzten Meilensteine übertroffen: In 64 direkten Treffen,190 Telefonaten und 278 Kontakten über Messenger-Dienste konnten Jugendliche von ihren „vertrauensvollen Botschaftern“ erfolgreich dabei unterstützt werden, einen positiven Lebenswandel zu vollziehen. Dafür wurden Emre, Murat und Alex aus 25 Personen ausgewählt und speziell für ihre Tätigkeit als Mentoren geschult.

Im folgenden Interview erzählt Jana Sophie Lanio, die zusammen mit Andrea Schulze das Projekt bis Ende Februar leitete, von ihren persönlichen Eindrücken, Erfolgen und Herausforderungen der letzten fünf Jahre bei Gesellschaft der Ideen.

Katja (Begleitung GdI):
Das Projekt Credible Messenger war von Anfang an bei Gesellschaft der Ideen dabei. Im Rahmen der BMBF-Förderung konnte aus der Idee von Credible Messenger ein tragfähiges Konzept entwickelt werden. Mit eurem Kooperationspartner Freie Hilfe Berlin e. V. wurde in der letzten Phase das Projekt erfolgreich erprobt und auf die Straße gebracht. Auf welche Erfolgsmomente guckst du besonders stolz zurück?

Jana: Es sind auf jeden Fall die individuellen Momente zwischen unseren Mentoren und den Jugendlichen, die Credible Messenger auszeichnen. Aktuell ist Andrea Schulze von Freie Hilfe Berlin e. V. näher an dieser Arbeit dran als wir, aber wenn deutlich wird, dass die Beziehungsarbeit zwischen den Messengern und den Jugendlichen funktioniert und, dass sowohl die Mentoren von positiven Erfahrungen berichten als auch die Jugendlichen, dann ist das Hauptziel des Projektes erreicht. Das ist das, was über allem steht.
Was ich darüber hinaus sehr schön finde, ist der Aufgabenbereich, der in der aktuellen Praxisphase bei Tatort Zukunft e. V. lag. Das sind die Erfahrungen die Emre, unser Mentor, und ich machen, wenn wir z. B. auf Fachtagungen oder in Universitäten unterwegs sind, um unser Projekt vorzustellen. Dann wird deutlich wie wichtig es ist, dass Emre eine Stimme bekommt. Auf den wenigsten Fachtagungen sind sonst ehemalige Gefangene dabei, auch wenn immer über sie gesprochen wird. Es ist sehr wertvoll, wenn er aus seiner Perspektive berichten kann. In 99 Prozent der Fälle bekommt er darauf auch extrem positives Feedback.

Katja:
Trotz der positiven Resonanz auf Credible Messenger gab es auch einige Hindernisse und Herausforderungen in der Vergangenheit. Kannst du uns typische Hürden nennen, warum ein soziales Projekt, das gut funktioniert, trotzdem Schwierigkeiten hat sich langfristig zu etablieren? Woran kann so etwas scheitern?

Jana:
Wir dürfen nicht vergessen, dass wir gerade, mit den Haushaltskürzungen und Einsparungen, einen ziemlich ungünstigen Zeitpunkt erwischt haben. Wenn man öffentliche Gelder braucht, ist man auch abhängig von den bestehenden Haushaltsplanungen.
Dabei muss ich betonen, dass für uns die Zusammenarbeit mit der Freien Hilfe Berlin e. V. sehr wichtig war, weil wir von Tatort Zukunft e. V. einfach noch nicht so etabliert waren. Ich glaube, gerade bei so einem Thema braucht es Vertrauen in die Institutionen, die dahinterstehen. Bei Tatort Zukunft e. V. fehlte uns da noch die Erfahrung. Am Ende des Tages glaube ich aber auch, dass das Stigma, was ehemalige Gefangene und Straftäter*innen haben, leider auch eine ganz große Rolle spielt.

Katja:
Welche konkreten Learnings hast du mitnehmen können und wo würdest du sagen, „das würde ich zukünftig anders angehen“?

Jana:
Durch die Zusammenarbeit mit der Freien Hilfe Berlin e. V. haben wir viel gelernt. Z. B. wie wir besser oder anders kommunizieren. Auf jeden Fall ist es wichtig, immer darauf zu achten, das Gefühl zu vermitteln, dass die Argumente der Partner*innen wichtig sind und wir jetzt nicht kommen und sagen, „wir haben die neue Innovation und alles, was ihr bisher gemacht habt, ist Quatsch“. Das denken wir natürlich nicht, aber wenn man von seiner Idee überzeugt ist, kann der Eindruck entstehen. Das Aufgabenfeld ist enorm groß, mit vielen unterschiedlichen Interessen besetzt. Das muss einem bewusst sein.

Katja:
Wie lautet dein Tipp für Leute, die eine tolle Idee für eine Soziale Innovation haben?

Jana:
Ich glaube, man muss wirklich ganz stark bedürfnisorientiert gucken, was brauchen die Leute mit denen ich zusammenarbeiten möchte. Es macht einen riesigen Unterschied, ob ich eine Förderung von der Senatsverwaltung für Justiz will oder die Unterstützung der Bewährungshilfe brauche. Dabei muss ich berücksichtigen, was diese Institutionen brauchen und wie ich das mit meinem Projekt erfüllen kann. Und zwar auch, wenn das gar nicht mein primäres Ziel oder Hauptanliegen ist. Ich glaube, da muss man zielgruppenspezifisch kommunizieren, was nicht immer leicht ist, weil es eben nicht immer mit den eigenen Werten übereinstimmt.

Katja:
Allerletzte Frage: Wenn du jetzt noch einen Wunsch formulieren könntest, was würde Credible Messenger brauchen, damit es nach Gesellschaft der Ideen weitergehen könnte?

Jana:
Ohne Geld lässt sich ein Projekt leider nicht umsetzen, weil das keiner im Ehrenamt schultern kann. Und deshalb wäre mein Appell, unabhängig vom Credible Messenger-Projekt, die bestehenden Förderstrukturen weiterzuentwickeln.
Zu viel unserer Arbeit ging vor allem in die Selbsterhaltung, weil man versucht, neue Gelder zu akquirieren. Das geht oft in der institutionellen Projektlogik unter und macht es vielen Projekten schwer, überhaupt ins Laufen zu kommen. Es braucht Vertrauen, Mut und eben auch ein bisschen Zeit.

Für weitere Informationen können sich Interessierte an folgenden Kontakt wenden: k.kurch@freiehilfe.de. Wir wünschen den Credible Messengers viel Erfolg für die Zukunft.