Bestraft das Leben eigentlich auch jene, die zu früh kommen?
Felix Friedrich mag das nicht ausschließen, zumindest scheint die Umkehrung des berühmten Gorbatschow-Satzes das Problem des von ihm gegründeten journalistischen Start-ups The Buzzard treffend zu beschreiben. Manchmal kommt er sich vor wie ein Prophet, dessen Botschaft noch nicht verstanden wird. „Wir betreiben so etwas wie Öko-Journalismus“, sagt der Firmengründer. „Da sind wir der Zeit voraus – und deshalb könnte unser Projekt vielleicht auch scheitern.“
Das im schwäbischen Esslingen ansässige Start-up hat den „ersten digitalen Meinungsnavigator der Welt“ entwickelt. Auf einer Internetplattform stellt das Redaktionsteam divergierende Meinungsbeiträge zu aktuellen politischen Themen gegenüber, fasst die Quintessenz der Argumente zusammen und stellt sie in den Kontext der Debatte. The Buzzard sieht darin die richtige Medizin gegen das Nicht-Verstehen und die zunehmende Polarisierung – ausgelöst vor allem durch die immer stärkere Nutzung sozialer Medien bei der Information über Politik. Auf den Online-Kanälen erhält man meist jene – von Algorithmen ausgewählte – Informationen, deren Tendenz man ohnehin teilt und sieht die eigene Position immer wieder bestätigt. So entsteht der „Echo-Effekt“.
Derzeit gravierendstes Problem von The Buzzard ist die Finanzierung des weiteren Wachstums. Die bisherigen Abo-Einnahmen reichen bei weitem nicht aus, um die geplante Geschäftsexpansion zu finanzieren. Geld muss her, und zwar schnell.
Neuland betreten
Vor genau dieser Hürde stehen viele Unternehmen der Kulturwirtschaft- und Kreativwirtschaft. Dabei lenken Investoren bereits 21 Prozent ihres Finanzierungsvolumens in die Kultur- und Kreativwirtschaft. Das Geld fehlt allerdings genau in jener Zeit des Aufbaus zwischen Seed- und Wachstumsphase, die für das Gedeihen junger Firmen besonders wichtig ist. Die Probleme unserer Zeit verlangen nach innovativen Lösungen. Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft, die abseits etablierter Denkmuster und Strukturen Neuland betreten, können hier als Impulsgeber eine wichtige Rolle spielen. Damit die Branche ihr volles gestalterisches Potenzial ausschöpfen kann, sind allerdings alternative Formen der Finanzierung dringend nötig. Außerdem lässt das vielleicht erstaunliche Investvolumen in die Kreativwirtschaft eine wesentliche Frage unbeantwortet: Welches sind die richtigen Geldgeber, die zu meinem Unternehmen, zur Idee, zu den Zielen passen?
Ausweg aus der Finanzierungsklemme verspricht das Impact Investing, zu Deutsch wirkungsorientiertes Investieren, eine noch recht junge Spezies von Geldanlage. Impact-Investoren legen ihr Geld mit der Aussicht auf finanzielle undsoziale, ökologische oder kulturelle Rendite an; der Renditebegriff ist ausdrücklich nicht aufs Monetäre beschränkt. Während sich Impact Investing bei Sozialunternehmen bereits etabliert hat, spielt es in der Kultur- und Kreativwirtschaft bislang nur eine untergeordnete Rolle.
Um diese bislang kaum genutzte Ressource zu erschließen und die Chancen für ein „Creative Impact Investing“ auszuloten, trafen im November 2017 in Berlin Akteure der Kultur- und Kreativbranche sowie Investoren, Institutionen (privat und öffentlich), Vertreter der Politik, Berater und Branchenexperten zu einem vom Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes veranstalteten Workshop zusammen. Das Arbeitsprogramm war ehrgeizig: Der Workshop sollte einen Überblick über bereits bestehende Finanzierungsmodelle bieten, alternative Renditeformen ermitteln, die im Impact Investment zur Anwendung kommen, die Möglichkeiten zur Messung von Impact diskutieren sowie erörtern, an welche Voraussetzungen eine erfolgreiche Etablierung von Creative Impact Investment geknüpft ist.
Rendite+ oder wofür wir brennen
Wie finden zwei vermeintlich so unterschiedlich denkende Akteure überhaupt zusammen? Die Sicht der „klassischen“ Investoren auf die Kreativbranche, so Juliane Schulze von dem auf Frühphasenfinanzierung der Kreativwirtschaft spezialisierten Investorennetzwerk Media Deals, sei vielfach geprägt von Konnotationen wie „Lifestyle“, „Hochrisiko“ und „Chaos“ – nicht gerade das ideale Umfeld für Wachstums- und Renditepotenzial. Andererseits herrsche bei vielen Kreativunternehmen großes Misstrauen gegenüber Investoren. Sie befürchten einen Verlust von Kontrolle über ihr kreatives Schaffen und sperren sich entsprechend gegen Versuche der Einflussnahme seitens der Geldgeber. Eindringlich appellierte Juliane Schulze an die Kreativfirmen, ihre Wahrnehmung der Investoren zu überdenken. „Sie investieren immer in Menschen, nie in irgendwelche Projekte und erst recht nicht in Excel-Tabellen, die belegen sollen, dass ein Geschäftsmodell in drei Jahren abhebt“, so ihre Erfahrung. „Sie sind fasziniert von der Dynamik, dem Schub, den Menschen entwickeln, wenn sie an etwas glauben.“ Entscheidend sei das Wertesystem, die Haltung hinter der Idee eines Kreativunternehmens. Warum tun wir, was wir tun? Wofür brennen wir? Was machen wir besser als andere? Der Dialog mit den Investoren über das „Warum?“ sei enorm wichtig. Allerdings sei es in manchen Fällen noch nötig, bei den Geldgebern die Saat für eine solche Perspektive auf ein Investment zu legen: „Educate the money! [b3] – das Geld kundig machen!“, lautet die Aufforderung.
Ganz ohne Rendite geht es freilich nicht; ein Impact Investment ist keine Spende für einen guten Zweck. „Die Geldgeber erwarten durchaus einen finanziellen Return – der allerdings nicht im Vordergrund stehen muss“, erklärte Andreas Rickert, Vorstandschef und Gründer der gemeinnützigen PHINEO AG, ein Analyse- und Beratungshaus für wirkungsvolles gesellschaftliches Engagement. Nur Unternehmen und Projekte mit tragfähigen Geschäftsmodellen seien auf Dauer lebensfähig und damit in der Lage, Wirkung zu entfalten. Eine maßvolle monetäre Rendite plus ein nachweisbarer Impact, also eine durch das Kreativunternehmen bewirkte Veränderung in die Gesellschaft hinein – in diese Richtung sollten künftige Überlegungen zu einer Erweiterung des klassischen, monetär fokussierten Renditebegriffs gehen. Innovative Finanzierungsmodelle eröffnen zudem neue Spielräume für die Verteilung der Haftungsverantwortung. Das zeigt das Beispiel der Social Impact Bonds, die auch die öffentliche Hand mit einbinden: Wenn eine soziale Intervention sich als wirksam erweist und beispielsweise eine Kommune dadurch Kosten einspart, erhält der betreffende Investor seine Rendite nicht vom investierten Unternehmen, sondern aus dem städtischen Haushalt. So wird der Staat zum Akteur, der den Marktaufbau wirkungsorientierter Investments aktiv unterstützt.
Wirkung messbar machen
Die von Investoren häufig geforderte Messbarkeit des Impacts sollte dabei Ansatz für weitere Überlegungen sein. Gegenwärtig fehlt es im Bereich der Kultur- und Kreativwirtschaft noch an einer Methodik zur Bewertung von Leistungen jenseits ökonomischer Parameter – mit der Folge, dass alternative Renditeformen bei den bestehenden Bewertungsmaßstäben in der Regel durchs Raster fallen. Für die Impactmessung von Sozialunternehmen liegen hingegen bereits durchaus verwertbare Ansätze vor – die man möglicherweise im Hinblick auf das Creative Impact Investing modifizieren könnte.
Viele Kreativunternehmer müssen zudem für sich wohl noch klarer definieren, wie sie sich eine Partnerschaft mit Investoren vorstellen – bei der es schließlich nicht nur ums Geld geht, sondern beispielsweise auch um die Frage, wer wichtige strategische Entscheidungen trifft. Alexander Schwedeler, Berater beim Institut für Mensch und Organisationsentwicklung (IMO) und ehemaliges Mitglied der Geschäftsleitung der Nachhaltigkeitsbank Triodos N.V. Deutschland, warf die Frage auf, ob insbesondere ein Exit nach drei bis fünf Jahren, wie ihn das Gros der Investoren präferiert, mit der Idee und Arbeitsweise von Kreativunternehmen kompatibel ist. In vielen Fällen sei es vermutlich besser, die Suche nach Geldgebern von vornherein „auf Investoren zu beschränken, die keinen Exit wollen“. Klarheit sollte nicht zuletzt auch über die Gewinnerwartungen der Kapitalgeber bestehen. Schwedeler sprach von „gesunden Gewinnen“, die das Leistungsvermögen der Kreativunternehmen nicht überstrapazieren: „Man sollte Investoren finden, die in der Vergangenheit bereits gut verdient haben, denen es darum geht, ihr Kapital zu erhalten, die aber keinen Renditedruck ausüben.“
Milliarden auf der Suche nach Sinn
Solche öffentlich und philanthropisch orientierten Kapitalgeber sind nicht nur ein theoretisches Konstrukt. Es gebe „mehr Menschen mit viel Geld als je zuvor“, sagt Felix Oldenburg, der Generalsekretär des Bundesverbands Deutscher Stiftungen. Milliarden auf der Suche nach Sinn und dazu eine anhaltende Nullzinsphase – das ist eigentlich die Situation eines perfect storm für Investitionen in Impact. Als Beispiel nannte Schwedeler Family Offices, die große ererbte Vermögen („das sind die berühmten reichen Witwen“) verwalten. „Solche Geldgeber sind offen für nicht rein [kapital]renditeorientierte Investments. Es gibt genügend Geld, man muss es nur suchen.“ Eine Suche, die sich mitunter noch schwierig gestaltet, da der Zugang etwa zu solchen Family Offices nur über Netzwerke möglich ist. „Die reichen Witwen kommen nicht zu einem solchen Workshop“, erklärte Schwedeler, „die wollen unsichtbar bleiben. Man muss Netzwerke aktivieren, um Kontakt zu den Menschen zu bekommen, die das Geld und die Projekte verwalten.“ Ein Workshop wie dieser, darin bestand Konsens unter den Teilnehmern, könnte ein wichtiger Schritt zur Etablierung eines derartigen Netzwerkes sein. Keinesfalls dürften die Kreativunternehmer den Fehler machen, sich gegenüber den Geldgebern in eine devote Position zu begeben. Richtig sei eine Begegnung auf Augenhöhe. „Wer ständig darauf schaut, was die Investoren wollen“, so Michael Bleks, Berater beim u-Institut in Berlin, „der übersieht, dass auf der anderen Seite ein genauso großer Bedarf besteht – nämlich an Ideen. Wenn es keine neuen Ideen mehr gäbe, dann wüsste das Kapital nicht, wo es sich anlegen soll.“
Text: Andreas Molitor, Wirtschaftsjournalist