Standort Deutschland: Es geht auch um ungenutzte Potenziale
Die Nicht-Sichtbarmachung von marginalisierten Personengruppen in den Medien ist aber nur eine Herausforderung, der sich die Kultur- und Kreativwirtschaft in Bezug auf das Thema Rassismus stellen muss. Das Kollektiv DisCheck hat ihrem Sammelband drei Thesen entwickelt:
- 1. Bi_PoC sind auch in der Kultur- und Kreativwirtschaft von Gatekeeping betroffen.
2. Bürokratische Hürden, Alltagsrassismus und oberflächliche Diversity-Kampagnen führen zu einer Mehrfachbelastung von Bi_PoC und dem Vergeuden ihrer kreativen Potenziale.
3. Diese Gründe führen dazu, dass die deutsche Kultur- und Kreativwirtschaft nicht mit der Attraktivität internationaler Arbeitsbedingungen in den Creative Economies mithalten kann.
Beim Lesen der Texte der Co-Autor*innen und Betroffenen von Diskriminierung im Sammelband wird deutlich: Gatekeeping, also die Kontrolle und Macht über Zugänge, findet auf dem gesamten Arbeitsmarkt in Deutschland statt. Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist davon nicht ausgenommen.
Im Bereich der beruflichen Entwicklung zeigen sich weitere Hürden: Digitalfirmen werben mit Diversität, um internationale Interessent*innen anzusprechen, bieten aber, laut Aussagen Betroffener, oftmals geringere Gehälter und schlechtere Aufstiegschancen. Victoria Kure-Wu hat jahrelang im deutschen Digital- und Kreativsektor gearbeitet und fasst das in ihrem Textbeitrag ganz treffend so zusammen, dass „kostenlose Obstkörbe“ nicht reichen werden, um Fachkräfte zu binden:
„Eine nachhaltige Lösung dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken wäre, diskriminierungsfreie Arbeitsräume durch Weiterbildungen oder konkrete Ansprechpersonen zu schaffen.“
Mit dieser Forderung liegt sie nah bei den Aussagen des Lageberichts „Rassismus in Deutschland“. Auch die Fachkommission Integrationsfähigkeit betont, dass die Diskriminierung am Arbeitsmarkt nicht nur negative Auswirkungen für die Betroffenen hat, „sondern für die Wirtschaft und die Gesellschaft insgesamt, weil sie das Einkommensniveau verringert, die Ungleichverteilung von Beschäftigungschancen und Einkommen erhöht, die Arbeitsmotivation und Arbeitsproduktion der betroffenen Gruppen senkt und Segregation fördert.“[5]
Neben der Situation am Arbeitsplatz wirken sich bürokratische Pflichten wie beispielsweise der Gang zur Ausländerbehörde, aber auch eine psychische Mehrbelastung durch rassistische Mikroaggressionen[6] zusätzlich auf die professionellen Ressourcen aus. Die Teilnehmer*innen des Creative Labs #3 und Autor*innen von „Racialised Faces in white Creative Spaces“ beschreiben aus ihren eigenen Erfahrungen die oftmals mangelnde Offenheit der Branche gegenüber nicht-weißen Kultur- und Kreativschaffenden, ihren Kompetenzen sowie innovativen Ansätzen. Um diesen kreativen Potenzialen mehr Platz zu geben, benötigt es sowohl Räume, die Antidiskriminierung und Antirassismus mitdenken, als auch ein verändertes Bewusstsein in der Unternehmenskultur für die unterschiedlichen Arten von Rassismus.
Wege zu einer rassismuskritischeren Kultur- und Kreativwirtschaft
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der demographischen Herausforderungen in Deutschland könnte eine aufrichtige rassismuskritische Auseinandersetzung die deutsche Kultur- und Kreativwirtschaft für internationale Fachkräfte attraktiver machen. Die Lab-Teilnehmer*innen und Autor*innen berichten, wie sie durch Employer Branding[7], das mit falschen Versprechen über Diversität und Inklusion aufwartet, in Unternehmen gekommen sind, nur um dann allzu oft auf Arbeitsrealitäten zu stoßen, die von Benachteiligungen und Unverständnis geprägt waren. Die Erfahrungsberichte Betroffener machen deutlich, dass Tokenisierung[8], rassistische Arbeitsumgebungen und die Nicht-Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit im Kulturbetrieb Gründe sind, weshalb Kreative mit Migrationsgeschichte ihre Erwerbstätigkeit in Deutschland oft desillusioniert aufgeben. Gleichzeitig werden Handlungsfelder aufgezeigt, die sich
mit den Empfehlungen repräsentativer Studien decken[9]: Echtes Interesse an den Arbeits- und Lebensrealitäten von marginalisierten Personengruppen in der Kultur- und Kreativwirtschaft und Zugang zu Räumen, in denen sich Bi_PoC Akteur*innen gleichberechtigt bewegen können, um ihre kreative und kulturelle Leistungskraft produktiv einzubringen – und das in allen Aspekten des Branchengeschehens, also auch in Leitungspositionen.
Sichtbarkeit und Repräsentation von marginalisierten Personengruppen in der Branche selbst, aber auch in Filmen, Serien und Literatur wären dabei erste relevante Bausteine. Ergänzt werden könnten diese Maßnahmen durch passende Förderstrukturen, die den Zutritt in die Kultur- und Kreativwirtschaft für Bi_PoC erleichtern, sowie Vernetzungsangebote innerhalb der Community bieten.
Handlungsempfehlungen für die Kultur- und Kreativwirtschaft aus „Racialised Faces In white Creative Spaces“[10] (edition assemblage Verlag):
- Vorreiter*in sein: Die branchen-inhärente Offenheit und Zugewandtheit gegenüber Neuem muss für alle und nicht nur für ausgewählte Akteur*innen der Branche gelten
- Haltung zeigen: Anti-Rassismus als Teil der unternehmerischen Haltung und des Handelns etablieren (Reflektion, Trainings und Fortbildungen in der Thematik, Aufbau von Antidiskriminierungsstrukturen)
- Gates öffnen: Gleichberichtigte Einstiegs- und Aufstiegschancen für marginalisierte Personen (gleiche Vergütung für internationale Fachkräfte, mehr Repräsentation auf der Vorder- und Hinterbühne von produzierenden Medien, Anerkennung
von Lebensrealitäten)
- Kreative Communities stärken: Zugang zu Wissen und den Austausch von Bi_PoC in der Kultur- und Kreativwirtschaft fördern
All diese Erkenntnisse konnten exemplarisch über das Creative Lab #3 des Kompetenzzentrums in Zusammenarbeit mit DisCheck exploriert und analysiert werden. Mehr Hintergründe und Einblicke in rassismuskritische Perspektiven der Kultur- und Kreativwirtschaft liefert das hier erwähnte Buch, das auf Initiative von DisCheck unter dem Namen „Racialised Faces in white Creative Spaces“ erschienen ist.
Glossar
Begriffserklärungen aus dem Code of Conduct der u-institut GmbH & Co. KG und dem Awareness-Glossar von wirmuesstenmalreden.blogspot.com
Bi_PoC steht für Black, indigenous und People of Color. Der Unterstrich steht für von Rassismus negativ betroffene Menschen, die sich nicht mit den anderen Beschreibungen identifizieren.
Diskriminierung
Systematische, institutionelle, sozio-ökonomische, etc. Ausgrenzung, Unterdrückung und Marginalisierung von Personengruppen aufgrund von vorgeprägten Wertvorstellungen/ Verhaltensmustern, Vorurteilen und Denkweisen. Eine Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person aus rassistischen Gründen, wegen ihrer körperlichen und geistigen Fähigkeiten oder einer psychischen oder physischen Behinderung, wegen ihres Geschlechts, ihrer Geschlechtsidentität oder ihres Geschlechtsausdrucks, wegen ihrer sexuellen Orientierung, ihrer sozio-ökonomischer und ethnischen Herkunft und Nationalität, ihrer Religion und kultureller Hintergründe, oder ihres Alters benachteiligt, abgewertet oder herabgewürdigt wird.
Mikroaggressionen
Mikroaggressionen können nach Derals Wing Sue in verschiedenen Formen auftreten:
- Mikroangriffe (micro assaults). Ein Mikroangriff ist ein ausdrücklicher und von der angreifenden Person gewollter, verbaler oder nonverbaler Angriff, um den*die Angegriffene*n herabzusetzen oder zu verletzen, der aber unter der Schwelle offen rassistischer Äußerungen oder Gewalttaten bleibt.
- Mikrobeleidigungen (micro insults). Mikrobeleidigungen sind Äußerungen, die sich durch Grobheit und mangelnde Sensibilität gegenüber der Herkunft oder Identität des*der Angegriffenen auszeichnen. Es handelt sich dabei um subtile Formen der Herabsetzung, die dem*der Angreifer*in nicht einmal selbst bewusst sein müssen, aber dessen Vorurteile aufdecken. Oft ist der Kontext entscheidend. Wenn etwa eine Person nichtweißer Hautfarbe für ihre gehobene sprachliche Ausdrucksweise gelobt wird, impliziert das laut Sue unterschwellig die Botschaft, dass dies eine Ausnahme sei. Mikrobeleidigungen können auch nonverbal sein, indem etwa Nichtweiße ignoriert oder nur beiläufig zur Kenntnis genommen werden.
- Mikroentwertungen (micro invalidations). Als Mikroentwertungen werden Ausdrucksformen bezeichnet, die Gedanken, Gefühle oder Wahrnehmungen der dadurch Angegriffenen ignorieren, ausschließen oder herabsetzen. Laut Sue liegt eine Mikroentwertung beispielsweise dann vor, wenn eine weiße zu einer Person nichtweißer Hautfarbe sagt, für sie würde Race keine Rolle spielen, da damit deren Identität negiert und ihre spezifischen Erfahrungen herabgespielt werden.
Rassismus
Systematische, sozioökonomische, soziale, institutionelle, etc. Diskriminierung, Ausgrenzung, Kolonialisierung und Unterdrückung von Bi_PoC in Verbindung mit Macht. Deswegen können weiße Menschen keinen Rassismus erleben. Rassismus meint jede auf race, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die es zum Ziel oder zur Folge hat, dass ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird.
Tokenisierung
Tokenisierung im Rassismus-Kontext beschreibt oberflächliche Unternehmungen oder symbolische Gesten, um weltoffen, aktivistisch und aufgeklärt zu wirken, ohne dabei Selbstreflexion zu betreiben. Negativ betroffene Menschen werden hier instrumentalisiert.
Hintergrund
Das Creative Lab 3.0 des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes wurde von dem Antidiskriminierungskollektiv DisCheck konzipiert, koordiniert und durchgeführt. Das Team von DisCheck kontaktierte kreativschaffende Menschen in Deutschland, die marginalisierten Personengruppen zugehören und brachte sie in einen Austausch zu Erfahrungen von Rassismus und Diskriminierung[11]. Ziel war es, Betroffene innerhalb der Kultur- und Kreativwirtschaft miteinander zu vernetzen, exemplarisch über die rassistischen Verhältnisse in der Branche zu sprechen und herauszuarbeiten, wie Schwarze und indigene Menschen sowie People of Colour (Bi_PoC)[12] gefördert werden können. Rund 50 Personen wirkten neben dem fünfköpfigen Team von DisCheck[13] aktiv an der inhaltlichen Ausgestaltung des Creative Labs zum Thema „Kultur- und Kreativwirtschaft und Rassismus“ mit. In Paneltalks, Workshops und Austauschforen wurden die Perspektiven von marginalisierten Personen zusammengebracht. 15 Personen haben ihre Perspektiven und Rassismuserfahrungen in der deutschen Kultur- und Kreativwirtschaft zu Papier gebracht. Dabei ist eine Sammlung von Texten entstanden, die einen Einblick aus einer anderen und neuen Perspektive in die Branche zulässt. Entsprechend können exemplarisch Handlungsfelder und -optionen aufgezeigt werden, um die Branche diskriminierungssensibler und damit auch in Hinsicht auf wirtschaftliche wie gesellschaftliche Herausforderungen unserer Zeit, zukunftsfähiger aufzustellen. Diese Texte hat DisCheck auf eigene Initiative im Nachgang des Creative Labs in dem Buch „Racialised Faces in white Creative Spaces” veröffentlicht.
„Die Teilnehmenden im Creative Lab #3 und insbesondere die Autor*innen haben sehr komplexe Erfahrungen und Kämpfe um Sichtbarkeit wiedergegeben“, erklären die Initiator*innen und Umsetzer*innen des Creative-Lab #3 von DisCheck. Die Ergebnisse böten eine relevante Perspektive und wichtige Grundlage, um zum Nachdenken und Reflektieren anzuregen: „Viele Texte sind ein wie ein Appell an die Kultur- und Kreativwirtschaft, Veränderung anzustoßen.“
Quellen & weiterführende Informationen
[1] Vgl. Racialised Faces in white Creative Spaces, S.54 Kapitel 4.4 https://www.integrationsbeauftragte.de/resource/blob/1864320/2157012/77c8d1dddeea760bc13dbd87ee9a415f/lagebericht-rassismus-komplett-data.pdf?download=1, abgerufen am 07.02.2023
[2] Vgl. S.13, S. 15 https://assets.ey.com/content/dam/ey-sites/ey-com/de_de/topics/government-and-public-sector/ey-studie-rassismus-wirtschaft-arbeit-gesicht-zeigen.pdf, abgerufen am 14.02.2023
[3] Vgl. https://www.kultur-kreativ-wirtschaft.de/KUK/Redaktion/DE/Publikationen/2023/monitoringbericht-kultur-und-kreativwirtschaft-2022.pdf?__blob=publicationFile&v=6, abgerufen am 28.02.2023
[4] https://neuemedienmacher.de/
[5] Vgl. S.58 https://www.integrationsbeauftragte.de/resource/blob/1864320/2157012/77c8d1dddeea760bc13dbd87ee9a415f/lagebericht-rassismus-komplett-data.pdf?download=1, abgerufen am 14.02.2023
[6] Vgl. Begriffserklärung Glossar
[7] Arbeitgeber*innenmarkenbildung
[8] Vgl. Begriffserklärung Glossar
[9] Vgl. https://www.ey.com/de_de/government-public-sector/warum-sich-unternehmen-fuer-diversitaet-und-gegen-rassismus-einsetzen-sollten, abgerufen am 14.02.2023
[10] Das Buch entstand im Nachgang des Creative Labs auf eigene Initiative von DisCheck.
[11] Vgl. Begriffserklärung Glossar
[12] Vgl. Begriffserklärung Glossar
[13] Zum Start des Projekts Anfang 2022 waren Lee Modupeh Anansi Freeman, Cila Yakecã, Seggen Mikael, David Kwaku Ehlers und İlyas Kılıç beteiligt
Fotos: Yero Adugna Eticha / blackinberlinNetzdialog
Die Fotos sind vom Netzdialog, der am 4. Mai 2023 zum Thema Diversität und Antidiskriminierung in der Kultur- und Kreativwirtschaft stattfand. Teil der Veranstaltung war eine Lesung aus dem Buch „Racialised Faces in white Creative Spaces“.
Autorin: Franzika Lindner