Eine politische Neuvermessung der Kultur- und Kreativwirtschaft
Eine politische Neuvermessung der Kultur- und Kreativwirtschaft
Eine politische Neuvermessung der Kultur- und Kreativwirtschaft

Eine politische Neuvermessung der Kultur- und Kreativwirtschaft

Die Pandemie hat die letzten Jahre geprägt und Normen unseres Arbeits- und Alltagslebens in Frage gestellt. Sie hat Spuren hinterlassen. Das ist gut, wenn das Hinterlassene genutzt wird, um daraus Neues zu lernen. Die Kultur- und Kreativwirtschaft hat diesbezüglich in den vergangenen drei Jahren viele Entwicklungen in Gang gesetzt. Deshalb sollte sie als Partnerin dort im Fokus stehen, wo sie für neues staatliches Handeln in einer mission-orientierten Politik Impact erzielt.

PART ONE: Was ist in den letzten Jahren passiert?

Um zu verstehen, wie es um die Kultur- und Kreativwirtschaft (KKW) in Deutschland steht, muss man ihre Struktur kennen: 95 Prozent der Erwerbstätigen in der Kultur- und Kreativwirtschaft sind Klein- und Kleinstunternehmer*innen sowie Solo-Selbständige. Sie arbeiten meist teilmarktübergreifend und oft an Schnittstellen zu anderen Branchen:

Die Stärke und Besonderheit der Kultur- und Kreativwirtschaft liegt innerhalb dieser kleinteiligen, innovativen und fluiden Strukturen, was auch in internationalen Studien immer wieder betont wird. Sie agiert nicht wie die Automobilindustrie oder andere große Wirtschaftsbranchen und dennoch steht die KKW in ihrer Wirtschaftskraft und ihrer gesellschaftlichen Wirkung diesen in nichts nach.

Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Transformationskraft der KKW hat sich während der Pandemie deutlich gezeigt. Trotz großer Ein- und Umbrüche in vielen originären Geschäftsfeldern, wurde an vielen Stellen in Rekordzeit um- und neu-gedacht. So wurden im Nu Test- und Impfzentren dort aufgebaut, wo sonst Konzerte und Clubkultur stattgefunden hätten. Lesungen, Führungen durch Museen oder Theateraufführungen wurden für den digitalen Raum adaptiert und als Angebot oft kostenlos zur Verfügung gestellt. In einer Zeit maximaler Isolation hat die Kultur- und Kreativwirtschaft damit ihre Rolle als verbindendes Glied innerhalb der Gesellschaft ernst- und wahrgenommen.

Abb. Monitoringbericht Kultur- und Kreativwirtschaft 2021: https://www.kultur-kreativ-wirtschaft.de/KUK/Redaktion/DE/Publikationen/2022/monitoringbericht-kultur-und-kreativwirtschaft-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=5

 Während noch das unschöne Wort der „Systemrelevanz“ diskutiert wurde, bewiesen die vielen Akteur*innen der KKW nicht nur Solidarität mit den Gefährdeten durch das Virus, sondern auch, dass Kultur in Deutschland ein wesentliches und unverzichtbares Gut ist und bleibt. Um diesen Impact auch in Zukunft nutzbar zu machen und die Wirkungskraft der Akteur*innen zu honorieren, müssen Politik, Wirtschaft und die Branche selbst folgende Fragen beantworten: Was muss sich zukünftig verändern, um die Kultur- und Kreativwirtschaft krisenfester zu machen? Welche Rollen spielen dabei Institutionen und Unternehmer*innen? Und wie kann der Staat die Branche besser unterstützen?

 Die Antworten, die das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes, im Rahmen eines Kongresses im Juni 2022 darauf erhielt, sind wenig überraschend und noch weniger neu: Fachkräftemangel, unzureichende Förderstrukturen und mangelnde Ausstattung bzw. fehlender Ausbau der Künstlersozialkasse sind aktuelle, noch immer bestehende Problemstellungen, die so bereits vor 15 Jahren formuliert wurden. Wir müssen einsehen: In einem alten System können keine neuen Lösungswege gefunden werden.

Während die Corona-Hilfen einzelnen kultur- und kreativwirtschaftlichen Betrieben aus der kurzfristigen Klemme helfen konnten und ihre Lage stabilisierten, beklagte insbesondere ein großer Teil der Kleinst- und Kleinunternehmer*innen und Soloselbstständigen, immer wieder durch das Raster der eigens für die Kultur eingerichteten Hilfsmaßnahmen zu fallen. Dadurch entstand eine Spaltung der Akteur*innen innerhalb des Kultursektors, in Unternehmen, die die Hilfe annehmen konnten und jene, denen die Hilfen verwehrt blieben. Das führte bei den betroffenen Unternehmer*innen der KKW unter anderem zu einem großen Vertrauensverlust in den Staat.

 Die Folgen sind für viele dieser Unternehmer*innen nicht nur wirtschaftlich vernichtend, sondern mit Blick auf das Gefühl der Wertschätzung – die zwar in Worten da war, der aber zu wenig Taten folgten – noch länger spürbar. Jetzt müssten die richtigen Schlüsse für die Zukunft gezogen werden, um Veränderung, Entwicklung und wirklich Neues zu ermöglichen.

PART TWO: Weichenstellung (nach) der Krise

Aus der Perspektive von Interessenvertreter*innen ist es durchaus sinnvoll, das Momentum zu nutzen, um überfällige Forderungen mit mehr Dringlichkeit zu stellen, denn: Es ist noch zu wenig passiert, um die Voraussetzungen für die Branche zu optimieren, während die Suche nach Lösungen für ganz konkrete Probleme immer mehr drängt. Die fortschreitenden Veränderungen unserer Realität, durch die Klimakrise ebenso wie durch technologischen Fortschritt, potenzieren die strukturellen Mängel für die Branche wie Fachkräftemangel, schrumpfende Begegnungsräume und wachsende Unsicherheiten für Kleinstunternehmen und Soloselbständige.

 Aber die Branche kann mehr. Seit mehr als 15 Jahren arbeitet die Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland für mehr Sichtbarkeit. Dabei geht es nicht um Beifall heischende Aufmerksamkeit, sondern um die politische Anerkennung als Wirtschaftsbranche, Innovatorin und Zukunftsgestalterin. Als interdisziplinäre Branche, deren zentraler Kern darin besteht, Gesellschaft und Wirtschaft zusammen zu denken und (neu) zu gestalten, müsste die KKW überall in der Politik mitgedacht werden. Also stellt sich die Frage: Wo sind die größten Hebel, die angesetzt werden können, um es der Branche zu ermöglichen ihre Kraft zu entfalten?

 Für das, was jetzt passieren sollte, hat der amerikanische Unternehmensberater Tom Peters bereits vor zwölf Jahren die passenden Worte in seiner Übersicht von 114 wichtigen Innovationstaktiken gefunden: Innovate or Die* („Innovate or die!“* (*Zitat des us-amerikanischen Unternehmensberaters Tom Peters: https://tompeters.com/2009/01/innovate-or-die-the-innovation114a-menu-of-essential-innovation-tacticspart-four-tactic-76-through-114/)

Die aktuelle Situation bietet eine gute Gelegenheit mit diesem Prinzip nachhaltige Veränderungen zu schaffen, die Kultur- und Kreativwirtschaft in ihrer Gesamtheit wahrnimmt und den vorhandenen Impact der Branche ermöglicht. Wesentliche Erkenntnisse aus der Pandemie sind unter anderem:

 Stärken erkennen und die Potenziale der Kultur- und Kreativwirtschaft nutzen
Die KKW nimmt mehr Steuermittel ein als sie kostet. Jetzt besteht die Chance, mit der Kultur- und Kreativwirtschaft die Konjunktur anzukurbeln und viele drängende gesellschaftliche Fragen besser zu lösen: Ein nachhaltiger Fonds, der perspektivisch eine Ausstattung von einer Milliarde Euro erhält, nur für Kleinstunternehmungen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft, ist wirtschaftlich und gesellschaftlich rentabel und darüber hinaus auch kulturell wie wirtschaftlich mehrwertstiftend.

Kapazitäten überall ausbauen! Ob und wie auch aus der Perspektive der Kulturpolitik zukünftig wirtschaftliche, arbeitsmarktpolitische Ordnungspolitik (mit)gemacht werden wird, ist offen. Dazu bedarf es noch mehr Kenntnis über Kultur- und Kreativwirtschaft in den Kulturabteilungen landauf und landab. Der Bundeskulturpolitik kommt dabei eine wichtige Funktion zu, wie die Pandemie gezeigt hat. Gut, dass in den vergangenen zehn Jahren die Kultur- und Kreativwirtschaft in vielen Städten in die Wirtschaftsförderungen Einzug gehalten hat. Eine stärkere Vernetzung dieser und weiterer Bereiche muss ausgeweitet werden. Wir benötigen mehr ressortübergreifende und unabhängige Institutionen, die neues staatliches Handeln hervorbringen können, wie beispielsweise die schwedische Innovationsagentur Vinova.

 Think big: Kurze Debatten und unkonventionelles Anpacken

Zahlreiche Beispiele zeigen (zum Glück), dass es einfach war, Kultureinrichtungen pandemiebedingt zu schließen und sie wieder öffnen zu können. Wenn Chancen für Reformen jetzt genutzt werden, geht die Kultur, ebenso wie Kultur- und Kreativwirtschaft als soziales Phänomen gestärkt hervor. Der Gedanke des Neu- und Umdenkens müsste von Politik und Wirtschaft betrieben und mit dem „Hands On“-Prinzip die Erkenntnisse Stück für Stück in Arbeitsaufträge übersetzt und angepackt werden. Kann zum Beispiel eine Zeitenwende der Bundeswehr ohne die Kultur-und Kreativwirtschaft gelingen? Vielleicht. Schneller und besser geht es sicher mit der Kultur-und Kreativwirtschaft.

PART THREE: Ein weißes Blatt

Vor der Pandemie ist nach der Pandemie….in Bezug auf staatliches Handeln und Innovation ist das politische Handlungsfeld noch immer ein quasi unbeschriebenes Blatt. Ohne Missionen zu definieren, in denen Kultur- und Kreativwirtschaft als zentrale Partnerin für eine gesellschaftliche Impact-Politik Verantwortung übernimmt, wird es keinen gewünschten Fortschritt geben. Durch die Erkenntnisse, die wir aus der Pandemie gezogen haben, erwächst auch die Verantwortung, relevante Veränderungen zu schaffen. Drängende Fragen unserer Zeit, wie Klimawandel, digitaler Fortschritt und gesellschaftlicher Wandel sind Herausforderungen, die mehr strukturelle Veränderungen und Anstrengungen brauchen. Dazu gehören mutige Entscheidungen, nicht länger mehr vom Gleichen zu erzeugen, sondern wirklich Neues zu schaffen. Die Kultur- und Kreativwirtschaft mit ihrem seit Jahren purpose-orientierten, unternehmerischen Ansatz und ihrer Bereitschaft zum Andersdenken und -machen kann den Impact liefern, der hierfür benötigt wird. Worauf warten wir also noch?

 

Dieser Artikel entstand im Auftrag der Kupoge für ihre Kulturpolitische Mitteilung 178 zum Thema Soziale Fragen.

Autor*innen: Christoph Backes, Katja Armbruckner und Antonia Koch

Fotos und Grafiken:
Grafiken KKW, Maria Selmansberger

Foto vom Kongress, Mina Gerngross

Grafik Kreativfonds, Katharina Weiß, Grafikladen