Vergangene Woche lud Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier rund 20 Vertreter*innen aus Handel, Stadtentwicklung, Verbänden und Verwaltung an den runden Tisch, um über die drohende Verödung der Innenstädte und die aktuelle Situation des Einzelhandels zu diskutieren. Mit dabei war auch Julia Köhn, Projektleiterin des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes. Wir sehen darin ein wichtiges Signal der Wirtschaftspolitik, diejenigen zu involvieren, die das Potenzial haben, neue Lösungsansätze zu liefern.
Wer unsere Arbeit seit längerem verfolgt weiß, dass sich das u-institut seit mittlerweile über zehn Jahren für die Potenziale und Impulse der Kultur- und Kreativwirtschaft stark macht. Gerade in der aktuellen Situation stellen wir fest, dass immer mehr Branchen, ebenso wie die Politik und Verwaltung, nach Expert*innen suchen, die ergebnisoffen Methoden, Maßnahmen und Ideen entwickeln. Gesucht wird nach den Potenzialen und Impulsen, das Beste aus der aktuell schwierigen Situation mitzunehmen, um die Rückkehr zu Altbewährtem zu vermeiden. Durch die vielen Veränderungen, die wir wirtschaftlich und gesellschaftlich gerade erleben ist nicht nur die Frage nach Alternativen lauter geworden, sondern hat auch die Suche nach kreativen und sozialen Innovationen Fahrt aufgenommen.
Die Innenstädte sind dabei nur ein Beispiel dafür, wo die Unternehmer*innen der Kultur- und Kreativwirtschaft aktuell mit ihren Ideen gefragt sind: Die dringend notwendige Digitalisierung der Bildung, die Anpassung des Pflege- und Gesundheitssystems an aktuelle Bedarfe, die Verlegung der Kultur und Unterhaltung in den angeordneten oder selbstgewählten Lockdown und das große Thema der ökologisch nachhaltigen Entwicklung von neuen Produkten und Lösungen gehören zu den aktuellen Betätigungsfeldern der rund 1,6 Erwerbstätigen der Kultur- und Kreativwirtschaft.
Was kann kreatives Unternehmer*innentum also bewirken und wo bringen sie bereits ihre Impulse erfolgreich ein? „Mir fallen auf Anhieb mindestens zehn gute Beispiele ein, wie die Kultur- und Kreativwirtschaft Innenstädte positiv beeinflussen kann“, erklärt Julia Köhn. „Zum Beispiel in Nürnberg, wo in der U-Bahn ein partizipativer Kommunikationsraum für die Quartiersentwicklung integriert wurde oder in Wien, wo die kreativwirtschaftlichen Urbanauten leerstehende Ladenflächen in Pop-up Hotelzimmer umfunktioniert haben.“ Der Schlüssel zu neuen Ideen sei die ergebnisoffene und kreative Innovation, die es ermöglicht außerhalb gesteckter Grenzen und vorgefertigter Erwartungen zu agieren: Eine Eigenschaft, die im kreativen Unternehmer*innentum häufig zu finden ist.
Fragte man die 20 Teilnehmer*innen des Runden Tisches nach ihren Erwartungen, dann nannten sie als Wünsche, die Entwicklung einer „lebendigen Stadt“, die durch ihre Vielfalt dazu einlädt „zu verweilen“. Die Innenstadt sollte sowohl „städtebaulich“ aber auch durch ein Angebot an „Grünflächen“ attraktiv und nachhaltig geprägt sein. Ein Angebot von Einzelhandel, Gastronomie und Kultur soll ihr den Charakter eines „Freizeitangebots“ geben: ein „Ort der Begegnung und Lebensfreunde“.
Ohne die Kultur- und Kreativwirtschaft sind diese Ziele nicht erreichbar. Aber, neben den ganz offensichtlichen Teilbranchen wie u. a. Architektur, Design, Theater und Kunst, die dieses Bild mitprägen, kann kreatives Unternehmer*innentum die positive Entwicklung der Innenstädte noch mit ganz anderen Fähigkeiten unterstützen: „Die Krise der Innenstädte lässt sich nicht allein durch die Einbindung neuer Kultur- und Kreativangebote lösen“, sagt Christoph Backes, Geschäftsführer des u-instituts. „Was wir brauchen, ist mehr Spiel- und Möglichkeitsraum für die Kultur- und Kreativwirtschaft, um ihre Ideen und Methoden einbringen zu können. Dann bin ich mir sicher, dass wir zumindest zu besseren Lösungen gelangen.“
Bei der Neugestaltung von Innenstädten ist die Bereitschaft und der Mut gefragt, Dinge anders anzugehen und wirklich Neues zuzulassen. Dazu muss auch die Bereitschaft da sein, Entwicklungsprozessen einen Raum zu geben, deren Ergebnis nicht kalkulierbar ist.
Das Fiction Forum des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes hat im letzten Jahr z. B. gezeigt, wie das gehen kann. Die Charité Berlin hatte für diesen Pop-up-Erlebnisraum eine 100 qm Brache an der Invalidenstraße in Berlin-Mitte zur Verfügung gestellt. Nach nur 6 Wochen Bauzeit und mit großartiger Unterstützung der Stadt Berlin eröffnete das Fiction Forum der Kultur- und Kreativwirtschaft als Außenstelle des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie zwischen Naturkundemuseum und Hauptbahnhof. Rund 3.500 Menschen kamen in drei Monaten zu den Veranstaltungen und nutzten die Angebote. Zu den Kooperationspartner*innen des Projekts gehörten neben der Charité auch das Museum für Naturkunde und die Humboldt Universität Berlin.
Die Motivation, die Handlungsbereitschaft und die Umsetzungsstärke der Kultur- und Kreativwirtschaft sind wichtige Attribute, die jetzt relevant sind. Gerade kreative Unternehmer*innen setzten diese in einem hohen Maße wirtschaftlich und gesellschaftlich erfolgreich ein. Deshalb gehört die Kultur- und Kreativwirtschaft auch an einen runden Tisch, bei dem es um Lösungsansätze für die drohende Verödung der Innenstädte geht. An diesen Tisch und auch noch an viele andere Tische, an denen gemeinsam über kreative, nachhaltige und gute Lösungen für die Zukunft gesucht wird. „Was es von der Politik jetzt braucht, ist eine nachhaltige Finanzierung für neue Wege und das Bewusstsein für das Verhältnis von Traditionen und Zukünfte“, betont Christoph Backes: „Die zentrale Frage lautet für mich, welche Rahmenbedingungen müssen geschaffen werden, um kreative Innovation zu ermöglichen? Die aktuellen Lösungsansätze reichen da noch lange nicht aus.“
Wo und wie Kultur- und Kreativwirtschaft in Innenstädten bereits wirkt
Es ist nicht neu, Erlebnisse zu gestalten, Services zu bieten oder das Extra zu entwickeln, was wir im Digitalen nicht finden können, um unsere Innenstädte, insbesondere in der jetzigen Situation, zu Orten zu machen, in denen wir uns aufhalten möchten. Denn städtische Räume sind auch Identitätsorte.
Die Kultur- und Kreativwirtschaft wirkt hier als Lösungsfinderin und Innovatorin. Viele Beispiele belegen dies:
In Hildesheim gamifizieren Produktdesiger*innen den urbanen Raum. Ein Projekt verwandelte das Warten an der Ampel zum Ping-Pong-Spielen gegen die andere Straßenseite.
In Nürnberg wird durch Kreativwirtschaft eine U-Bahnlinie zum partizipativen Kommunikationsraum für Quartiersentwicklung.
In Nantes prägten die meterhohen Figuren des Kunstprojektes les machine d‘ile das Stadtbild, die Identität und somit auch die Marke der Stadt international.
In Wien integriert die Kreativwirtschaft mit Hotelzimmern in leeren Geschäftslokalen der Innenstadt touristische Unterkünfte nahtlos ins Stadtleben.
An unterschiedlichsten Orten unseres Landes lassen kreative Software- und Technologielösungen, bspw. im Retailbereich der Modeindustrie, analoge und digitale Welt verschmelzen und machen Handelsflächen zu Laboren für Verkaufserlebnisse.
In Bremen werden mit der Zwischenzeitzentrale seit vielen Jahren innovative Ideen und Eigentümer*innen von leerstehenden Gebäuden zu kreativen Zwischennutzungen verbunden.
in Berlin wird durch kreativwirtschaftliche Technologien wie bspw. industriefähigen 3-D Druck die Innenstadt zu einer dezentralen Produktionsstätte.
Kennen Sie spannende Beispiele, wo Unternehmer*innen der KKW neue Lösungsansätze für die Stadtentwicklung geliefert haben? Dann nennen Sie uns gerne Ihre Erfahrungen: presse@u-institut.com.
Wir freuen uns auf den Austausch mit Ihnen.
Text: Katja Armbruckner
Fotos: Mina Gerngross