Social Entrepreneurship und Soziale Innovation
Social Entrepreneurship und Soziale Innovation
Social Entrepreneurship und Soziale Innovationen – Wirtschaftlicher Ehevertrag oder offene Beziehung?

Social Entrepreneurship und Soziale Innovationen – Wirtschaftlicher Ehevertrag oder offene Beziehung?

Sie gehören zu den neuen Buzzwords, diejenigen Begriffe, die das Soziale und Ökologische mit dem Wirtschaftlichen vereinen. Immer mehr geht es dabei auch um modernes Leadership, sich ändernde ökonomische Werte und ein neues Verständnis von Unternehmen. Eine Auseinandersetzung mit den Begrifflichkeiten auf einer theoretischen Ebene von Matthias Nizinski

Soziale Innovationen werden derzeit von Politik, Wirtschaft und Wissenschaft vermehrt gefordert und gefördert, so z.B. im Ressortkonzept zu Sozialen Innovationen der Bundesregierung. Dabei gilt die Klausel, dass vor allem gesellschaftlicher Mehrwert im Vordergrund steht und die Wirtschaftlichkeit zwar nicht negiert, aber zu einem Nebenthema wird. Blickt man sich um in der Startup-Szene, so kann in den letzten Jahren ebenfalls ein Trend festgestellt werden: Das Attribut „social“, erscheint als ein immanentes Beiwerk, um durch Social Entrepreneurship weiterhin progressiv und innovativ wirtschaftliche Ziele zu erreichen.

Ein Themenkomplex, der auch uns seit langer Zeit bewegt und mit deren Vertreter*innen wir uns beschäftigen, vornehmlich im Hinblick darauf, wie sie ihre unternehmerische Verantwortung umgesetzten wollen und können.

Bin ich social oder sozial?

Auf den ersten Blick sind die beiden Begriffe – sozial und social – synonym zu verstehen. Bei näherem Betrachten, sind aber feine Unterschiede zu erkennen, wie sich folgend zeigen wird. Und doch sind die Gemeinsamkeiten so faszinierend, dass sich mir die Frage stellt: Wie gestalten sich die Beziehungsverhältnisse zwischen Social Entrepreneurship und Sozialen Innovationen?

Daher möchte ich in diesem Artikel eine kurze Analyse durchführen mit dem Versuch, die Begriffe zu definieren und die Leitfrage stellen: Wie ist sieht der Beziehungsstatus zwischen Social Entrepreneurship und Sozialer Innovation aus – offene Beziehung oder wirtschaftlicher Ehevertrag?

Der Ehevertrag: Soziale Innovation entsteht aus Social Entrepreneurship

Was ist eigentlich Social Entrepreneurship? In der Wissenschaft wird der Begriff bereits in der Mitte des 20. Jahrhunderts zumindest als Wortschöpfung namentlich genannt (vgl. Hein: 2021, online). Die Definitionsfindung für Social Entrepreneurship dauert allerdings bis heute an und wird auch sicherlich noch für Gesprächsstoff sorgen. Der Begriff wird heterogen besprochen sowie teilweise widersprüchlich verwendet (ebd.).

Für unsere Betrachtung interessant ist, dass Social Entrepreneurship häufig Beispiele Sozialer Innovationen als Unternehmensziel haben und der wirtschaftliche Aspekt in den Hintergrund rückt. Die Kriterien werden insofern erfüllt, als dass durch „unternehmerisches Denken und Handeln“ zum Wohle der Gesellschaft gewirtschaftet wird, als auch neue Wege und Organisationsformen zur Lösung gesellschaftlicher Probleme gestaltet werden (vgl. Zapf, 1994).

Aus diesem Blickwinkel betrachtet, kann die These bestätigt werden, das Soziale Innovationen anhand von Social Entrepreneurship entstehen können. Dabei bilden die heutigen Startups noch immer eine relativ junge und somit neue Organisationsform. Auch die unternehmerischen Maßnahmen sind durch Digitalisierung und technischen Fortschritt auf neue Praktiken der Problemlösungen ausgerichtet. Gerade, wenn sich junge Gründer*innen dafür entscheiden, einen gesellschaftlichen Mehrwert in die Profiterrechnung einzukalkulieren –  ergo wirtschaftlich weniger monetäre Erträge zu entrichten.

Dabei gründen Soziale Innovationen teilweise als Mehrwert durch Ertragsminderung der Social Startups, die aber in einer globalen Skalierung grundlegende finanzielle Aufwertung des gesellschaftlichen Wohlstands sogar weltweit bedeuten können, wie zahlreiche Studien, z.B. von Ashoka und McKinsey nahelegen. Das Social Return of Investment kann hier u.a. in einer Steigerung der globalen Kaufkraft festgehalten werden, die langfristig entsteht und nachhaltig wirkt. Eine Menge Potenziale, die aber zunächst Zeit und Geld kosten.

„Bisher jedoch wird dieses Potenzial nicht genutzt, denn Gründer*innen sehen sich mit Hürden wie dem Zugang zu Ressourcen und Finanzierungsmöglichkeiten konfrontiert. Förderangebote sind oft nicht auf die Bedarfe der Social Entrepreneurs angepasst,“ sagt Afra Gloria Müller von SEND e.V., eines der zahlreichen Innovations-Netzwerke für die Förderung von Social Startups und Social Entrepreneurship.

Somit lässt sich festhalten, dass Soziale Innovationen aus Social Entrepreneurship entstehen können, wenn die Voraussetzungen dafür geschaffen sind. In der Beziehungsmetapher gesprochen bedeutet das: Durch einen „wirtschaftlichen Ehevertrag“ können die Potenziale von Social Entrepreneurship abgeschöpft und Soziale Innovationen aktiv gefördert werden.

Die offene Beziehung: Social Entrepreneurship entsteht aus Sozialer Innovation

Die Ziele von Sozialen Innovationen sind ganz konkret in ihren Wirkungsfeldern wie Klimawandel oder Armutsbekämpfung dringend notwendig. Hier ist der Preis, den wir zahlen müssen, ohnehin einer hohen Nachfrage – nämlich dem Wohl aller Menschen – unterworfen.

Es ist also keine Frage der Ausrichtung des ökonomischen Unternehmensziels: soziale Werte oder finanzieller Erfolg, sondern der intrinsischen Motivation, die hinter dem Unternehmen steht. Finanzieller Erfolg ist die Notwendigkeit für die Dauerhaftigkeit. Wenn sich eine Idee über eine lange Zeit nicht rechnet, kann ein Startup [ein Sozialunternehmen] nicht überleben und somit auch nicht die Soziale Innovation. Denn auch wenn das Attribut „social“ zuvor gestellt wird, heißt das nicht, dass auf finanziellen Erfolg verzichtet werden kann. Die Vision bleibt dabei, keine „monetäre, aber eine gesellschaftsbezogene Gewinnmaximierung“ (Yunus: 2005, S.2) zu verfolgen und die Lösung eines sozialen Problems in den Vordergrund zu rücken. Die Investition lohnt sich auf lange Distanz: wir profitieren von ihr in der Zukunft.

Warum wir Soziale Innovationen brauchen, ist im Hinblick auf Herausforderungen wie Klimawandel und Dekarbonisierung eine obsolete Fragestellung. Wir benötigen aber auch eine neue Perspektive auf unternehmerisches Denken und Handeln, die sich vor allem durch eine Soziale Innovation auf das „Wie“ etwas geändert werden kann – und wie ein (soziales) Vorhaben finanziert werden kann, richtet. Open Social Innovation ist hierfür ein Lösungsvorschlag, der „eine Innovation auf dem Wie“ beansprucht, wie Henrike Schlottmann von ProjectTogether (siehe auch unser Interview im u-Podcast Salon Frou Frou) hervorhebt. Eine Profitmaximierung auf dem Purpose, bei hohem Anteil an Beteiligung der Gesamtgesellschaft. Damit greifen wir auf die Quelle der Nachfrage von Innovationen zurück: Das gesellschaftliche Leben kann auf Bedarfe und neue Impulse abgefragt werden. Hierfür bedarf es einer tiefgreifenden Veränderung unseres Verständnisses von Wirtschaften an sich, um diese Chance zu nutzen.

Soziale Innovationen benötigen nicht zwingend Social Entrepreneurship um zu wirken. Es liegt an der Freiwilligkeit von Unternehmen, ob sie ihre wirtschaftliche Grundlage in den Dienst von sozialem Mehrwert stellen. Dadurch entsteht eine offene Beziehung zwischen den Partner*innen, die sich gegenseitig fördern können und somit die Reichweite ihrer Wirkung erhöhen können.

Beziehungsstatus: Es ist kompliziert – Eine Synthese.

Wir können die Anzeichen einer Liebelei zwischen Social Entrepreneurship und Sozialen Innovationen nicht ausschließen. Beide bewegen sich in einem Feld des gesellschaftlichen Mehrwerts, beide gehen neue und ungewöhnliche Wege, um diesen zu erreichen. Bestehende Beispiele und Initiativen zeugen von einer Beziehung. So, als wären sie schon lange ein Paar ohne definierten Beziehungsstatus. Der spielt zunächst auch keine Rolle, denn die Zukunft ist ungewiss und eine stabile Beziehung fragt nicht nach dem Status der Partner*innenschaft.

Diese Offenheit gegenüber allen Akteur*innen führt dazu, dass eine Verbindlichkeit nicht notwendig ist und wir nicht davon ausgehen können, dass eine klassische Ehe zwischen den beiden stattfinden wird. Es erscheint ohnehin nicht mehr zeitgemäß. Durch das größtmögliche Vertrauen kann dennoch eine innige Freundschaft zwischen Social Entrepreneurship und Sozialen Innovationen, auch abseits der üblichen Beziehungsformen, entstehen und die Zukunft achtsamer gestalten.

Für unsere u-Topie bedeutet diese Perspektive eine gute Ausgangsposition, um einem Homo socio oeconomicus näherzukommen. Denn wenn wir zurückblicken, sehen wir eine Reihe von Prototypen und Projekten, eine Vielzahl unternehmerischer Persönlichkeiten, die ihren geschäftlichen Purpose auf gesellschaftlichen Mehrwert legen. Und an diese Menschen glauben wir. Deswegen blicken wir nach vorn und setzen unser Know How auf Zukünfte, die sozial-innovative Rahmenbedingungen und öffentliche Strukturen fördern, damit Utopien auch in praktische Mehrwerte transformiert werden können.

 

Autor: Matthias Nizinski, Social Media Content, Gesellschaft der Ideen

Fotos:
William Veder;

Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes

 

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Literatur zum Thema:

Achleitner, Kristin (2022): Social Entrepreurship. In: Gabler Wirtschaftlexikon. Springer, Wiesbaden.
Online, aufgerufen am 7.03.2022 [https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/social-entrepreneurship-52240]

Bourdieu, Pierre (1987): Der Sozialraum und seine Transformation, In: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Suhrkamp, Frankfurt/Main, pp. 171-210.

Hein, Rüdiger (2021): Typisch Social Entrepreneurship. Arbeitsgestaltung und Wirkung von Arbeit bei Sozialunternehmer*innen in Deutschland, Springer, Wiesbaden.
Online, aufgerufen am 7. März 2022 [https://www.springerprofessional.de/inhaltliche-einleitung-herleitung-der-zentralen-forschungsfrage-/19617016?fulltextView=true]

Yunus, M. (2005). Social Business Entrepreneurs are the Solution. Grameen Communications, modified on 20-August, 2005. Abrufbar auf: http://www.ima.kth.se/utb/mj1501/pdf/yunus.pdf. Abgerufen am: 24.3.2017.

Zapf, Wolfgang (1994): Über soziale Innovationen, In: Wolfgang Zapf. Modernisierung, Wohlfahrtsentwicklung und Transformation: soziologische Aufsätze 1987 bis 1994, Edition Sigma, Berlin, pp. 23-40