Vorspann Sandra
Hallo und herzlich willkommen im Salon Frou Frou des u-instituts. Mein Name ist Sandra Halter und ich freue mich sehr, euch heute wieder in den ehemaligen Räumen des Weinkabaretts zu begrüßen, nach dem unser Podcast benannt ist und in denen sich heute das u-institut befindet. Es ist leider noch ein bisschen früh für Wein und tanzen werden wir heute auch nicht, zumindest jetzt gleich.
Aber ich freue mich sehr auf einen sozusagen verbalen Charleston mit meinem tollen Gast Johannes Kleske. Ich stelle Johannes ganz kurz vor. Johannes ist Zukunftsforscher und unter anderem Gründer und Geschäftsführer von Third Wave. Third Wave ist ein Unternehmen, das Unternehmen und Organisationen dabei hilft, ihre Zukunft aktiv zu gestalten und in der digitalen Welt handlungsfähig zu bleiben bzw. handlungsfähig zu werden.
Dafür arbeiten sie an der Schnittstelle von Foresight und Technologie und analysieren eine Welt im stetigen Wandel. Wie das genau funktioniert, warum die Gestaltung von Zukünften wichtig ist, welche Rolle Trends und Trendanalysen dabei spielen und wie unsere Kooperationspartnerin die Kultur- und Kreativpilot*innen Deutschland mit Third Wave zusammenarbeiten, darüber spreche ich heute mit Johannes. So hallo, ich freue mich sehr, dass du da bist.
Johannes
Vielen Dank für die Einladung. Schön hier zu sein.
Sandra
Dann fangen wir auch gleich an mit der ersten Frage, mit der ganz berühmt berüchtigten Frage von Salon Frou Frou, nämlich: Wenn Third Wave eine Bühnenshow wäre, was für eine Art Show wäre das? Wie würde sie heißen? Vielleicht ja anders als Third Wave? Und welche Rolle würdest du darin spielen?
Johannes
Das ist tatsächlich eine total spannende Frage, weil wir haben so ein bisschen bei uns so einen Running Gag oder Running Joke, dass Zukunftsforschung zu einem gewissen Grad eigentlich immer Improvisationstheater ist. Also das heißt, wenn wir mit unseren Kunden unterwegs sind, dann gilt es ganz viel auf die verschiedenen Impulse zu reagieren und daraus was zu machen. Third Wave als Bühnenshow wäre eine Art Improvisationstheater wo wir quasi mit Einwürfen aus dem Publikum, wenn wir mal das Publikum als unsere Kunden denken, Geschichten erzählen, und zwar Geschichten aus der Zukunft.
Also man könnte sich das jetzt vielleicht vorstellen, als so eine Art Science Fiction. Es muss aber auch nicht immer irgendwie 30, 40, 100 Jahre in der Zukunft sein. Es könnten auch zehn Jahre sein oder fünf Jahre sein. Und was wir dabei immer machen, ist, dass wir diese Impulse aus der Gegenwart nehmen und sie in verschiedenen Szenen spielen. Und zwar immer mit unterschiedlichen Schwerpunkten. So das ist eigentlich die Arbeit, die wir machen. Wir erzählen Geschichten aus der Zukunft zu einem bestimmten Thema und zwar immer verschiedene. Wir erzählen Geschichte eins und dann machen wir Geschichte zwei, die ist ein bisschen anders, da legen wir andere Schwerpunkte und da gibt es vielleicht andere Entwicklungen, die im Vordergrund stehen. Und dann Geschichte drei, so dass das Publikum verschiedene mögliche Entwicklungsrichtungen in die Zukunft wahrnimmt, und zwar nicht als sage ich mal, langweilige Statistik, zahlenbasierte Szenarien, sondern wirklich als auch emotionale Geschichten, als ein persönlicher Zugang dazu. Etwas, was einen mitnimmt, etwas, was einen bewegt. Und was einem hilft die Gegenwart besser zu verstehen. Das, was einem gerade passiert ist oder das, womit man sich gerade beschäftigt und darin bessere Entscheidungen zu treffen. Also unser Ziel ist es, dass der Horizont weit fährt und man Vielfalt besser versteht. Das ist das, was wir machen.
Das heißt, meine Rolle darin, ist ganz stark die, solche Impulse aus dem Publikum aufzunehmen. Ich glaube ich wäre ganz typisch so ein Moderator, der Reihen fragt „Ok, wie geht’s euch? Gebt uns mal ein paar Stichworte rein. Was beschäftigt euch gerade?“
Vielleicht auch eine sehr konkrete Frage stellt zu einem bestimmten Bereich: „Welche Frage beschäftigt euch hier?“, das zusammenzutragen, um quasi mit den Leuten, mit denen wir auf der Bühne zusammenarbeiten, bewusst diese Fragen oder freche Fragen zu stellen und zu gucken, was damit passiert, welche spontanen Geschichten entstehen und immer wieder dem Publikum zu ermöglichen, auch zu vergleichen. Zu sagen: „Guck mal, hier ist der Unterschied. Die eine Geschichte war das. Hier ist die andere Geschichte zum gleichen Thema, die aber in eine ganz andere Richtung geht. Was fällt euch dabei auf, was findet ihr spannend? Wo wollen wir noch mal tiefer einsteigen und was könnt ihr dann am Ende daraus mitnehmen?“ Ich glaube, das wäre so meine Rolle.
Sandra
Spannend, cool. Ich hatte hier gerade schon gesagt, das wird jetzt ein großes Thema bei uns, nämlich über Trends zu sprechen und auch dass ihr Trendanalysen macht und Trends beobachtet. Und so weiter. Aber Trend ist ja auch etwas, was sehr inflationär benutzt wird für alles Mögliche. Und es gibt ja auch Gegentrends, parallele Trends und kurzlebige Trends, Trends, die gar keine Trends werden. Was ist denn eigentlich ein Trend?
Johannes
Genau. Also wir können nicht sagen, welche Farbe in der nächsten Modesaison irgendwie besonders in ist, sondern ich mache mal so eine kurze Wortdefinition. Wir fangen vom Kleinsten an. Was wir benutzen ist ein Signal und ein Signal ist immer in irgendeiner Form eine Information in der Gegenwart, die auf eine mögliche Veränderung in Zukunft aufbaut. Also beispielsweise man liest einen Artikel, in dem steht, dass die Preise steigen oder dass ein Start-up in einem bestimmten Bereich eine Förderung bekommen hat oder Risikokapital bekommen hat. Und das sagt mir ah, interessant, irgendwie ist das ein interessanter Punkt, den halte ich mal fest.
So, und dann kommt als nächstes das Muster. Das heißt also, was wir ganz viel machen, ist, solche Signale zu bestimmten Themen zu sammeln. Und wenn wir dann feststellen, ach guck mal, hier sind noch zwei Start-ups, die haben auch gerade Geld bekommen und die sind alle in diesem Bereich. Also wenn man sich das so vorstellt: Vor ein paar Jahren war es dann so, dass plötzlich immer mehr Start-ups in dem Essenslieferservice-Bereich Geld bekommen haben. Okay, das nennen wir dann Muster, wenn wir mehrere Signale haben, die alle in die gleiche Richtung zeigen. Und es könnte sein, dass in naher Zukunft der Essenslieferservice-Bereich eine größere Rolle spielt und dass sich da was verändert. So, aber dann sind wir immer noch in der Gegenwart und dann kommt der Trend und der Trend ist eine Hypothese darüber, wie sich eine bestimmte Veränderung in Zukunft entwickeln könnte, nämlich zum Beispiel: Essenslieferservices werden ein Riesenthema. So in den nächsten drei, vier Jahren könnte es sein, dass Essenslieferservices ein Riesenthema werden und was würde das dann möglicherweise heißen? Das ist dann die spannende Frage, die wir uns stellen. Wozu könnte das führen? Welche Auswirkung könnte das haben? Ich bin jemand, der sich auch viel mit der Zukunft der Arbeit und den neuen digitalen Arbeitsmodellen beschäftigt. Und beim Thema Essenslieferservices kommt mir natürlich sofort zu Fragen wie: Das kann dazu führen, dass es mehr prekäre Arbeitssituationen gibt oder dass es irgendwie ein neues Verständnis braucht für Gewerkschaften für Arbeitnehmer*innenorganisationen, die mit lauter Freelanc-Essensausfahrer*innen zusammenarbeiten müssen.
Wenn man so einen Trend mal identifiziert, und dann sagt okay, hier ist möglicherweise eine Entwicklung, da kann man sich ganz viele andere Themen drum herum angucken, und das ist das, was wir als Trend verstehen. Davon gibt es natürlich viele. Die gibt es in allen Größen, Formen und Farben. Das heißt, ein Trend ist immer eine Hypothese über eine Veränderung in der Zukunft. Es gibt Megatrends. Klimawandel ist ein Megatrend. Digitalisierung ist ein Megatrend. Nur das sind sehr große Themen, die auch meistens eine sehr langfristige Entwicklung haben. Dann haben wir sehr spezifische Trends und wie du schon sagst, es ist dann spannend zu beobachten, dass ein Trend meistens auch einen Gegentrend hat, also eine Gegenbewegung. Wir sehen, das ist im Digitalisierungsbereich ständig ein Thema, welches immer schneller, immer größer wird. Wir verbringen immer mehr Zeit mit unseren Smartphones. Und dann gibt es die Gegenbewegung, die sagt okay, wir machen jetzt Digital Detox und versuchen das Ding gar nicht mehr zu benutzen oder irgendwie ganz stark einzuschränken, was wir machen. Das kann man immer mit reinnehmen, um zu überlegen: Wie können daraus eigentlich Zukunftsbilder entstehen, die uns helfen?
Das ist dann quasi der vierte Partner – vom Signal zum Muster, zum Trend. Uns ist ganz wichtig, beim Trend nicht aufzuhören, weil wir sehen, dass in ganz vielen typischen Trendreports dann so 15, 20 verschiedene Trends drinstehen, die aber alle für sich alleinstehen. Es könnte das passieren, dann könnte das passieren, dann könnte das passieren.
Was wir dann machen ist, wir versuchen diese Trends und diese Entwicklungen zu kombinieren und zu Szenarien auszugestalten. Und Szenarien heißt dann okay, wenn sich diese drei Trends wie folgt entwickeln, wie würde die Welt denn dann aussehen? Also wie würde eine Welt aussehen, in der sich die meisten Leute ihr Essen abends liefern lassen und wir quasi noch zum Beispiel den Trend Nachhaltigkeit mit reinnehmen?
Also das heißt, die wollen alle nicht was in Pappschachteln haben, sondern die wollen das alle in recycelten Schüsseln haben. Und so weiter. Wie würde das denn aussehen? Wie würde das dann in zehn Jahren in einem Berliner Kiez aussehen? Und was ist, wenn es in eine andere Richtung geht? Was ist, wenn das Thema nur ganz kurz groß ist und dann stellen alle fest, es ist aber einfach tierisch ungesund, sich ständig irgendwie Essen liefern zu lassen und von dem man nicht so genau weiß, wie viel Öl ist da drin, wie viel Salz ist da drin? Gibt es so eine Gegenbewegung? Und plötzlich können wir mehrere Szenarien nebeneinander stellen und können dann überlegen okay, was davon finden wir spannend? Was geht in die richtige Richtung, was können wir pushen? So ist ein ganz typischer Ablauf unserer Arbeit vom Signal bis zum Szenario um wirklich so einen Horizont aufzumachen, wo sich Themen hin entwickeln könnten in mittlerer bis längerfristiger Zukunft.
Ja, ich glaube, Trendanalysen werden ganz häufig mit Prognosen verwechselt. Also, dass man sagt okay, wir sehen hier bestimmte Muster von Dingen, die gerade passieren. Also heißt das, wir rechnen das jetzt hoch für die nächsten fünf Jahre. In fünf Jahren wird es so und so aussehen. Das ist das, was man unter Prognosen versteht. Das ist das, was in unserer volatilen, komplexen Welt praktisch inzwischen immer schiefgeht, was einfach nicht mehr funktioniert. Wir rechnen das einfach linear weiter, aber meistens kommt es halt anders. Das heißt, und deswegen habe ich das vorhin so betont, Trends sind Hypothesen, sie sind nicht Prognosen. Sie sind mehr so, was wäre wenn? Was wäre, wenn es sich so weiterentwickelt, was wäre es, wenn es sich in ein anderes Thema entwickelt? Was wäre, wenn es sich mit anderen Trends vermischt und diese aufeinander Auswirkungen haben?
Ich glaube, der Part ist ganz wichtig. Vor allem und das ist für mich eigentlich der wichtigste Part auch unserer grundsätzlichen Philosophie: Solange die Zukunft nicht Gegenwart geworden ist, ist sie offen. Deswegen sind es keine Prognosen, was jetzt in Zukunft wird, sondern es ist immer eine Hypothese, die sagt, es könnte so kommen. Es kann aber auch ganz anders kommen, insbesondere wenn wir darauf Einfluss nehmen und bestimmte Entscheidungen treffen, die dazu beitragen, dass es wahrscheinlicher wird oder dass es unwahrscheinlicher wird. Das heißt, Trends sind kein Determinismus, sie bedeuten nicht automatisch, dass es da hingehen muss.
Ich mach mal ein ganz einfaches Beispiel: Klimawandel. Wenn wir uns angucken, was die aktuellen Trends beim Thema Klimawandel sind, dann könnte man denken, das Ding ist verloren, die Welt geht unter, weil die Richtung ist gerade so eindeutig, wo es hingeht aber die Idee ist ja genau nicht zu sagen okay, wir ist verloren, weil die Richtung ist nun mal klar, sondern es geht genau darum zu sagen, derzeit sieht alles danach aus, dass es bergab geht. Aber wir haben es in der Hand, die Richtung zu ändern. Genau deswegen sagen wir, der Trend geht gerade dahin, dass der Klimawandel immer stärker wird. Was können wir tun, wo sind die Stellschrauben, wo können wir ran, um diesen Trend umzuändern und das ist genau der Part. Wie hilft uns ein Trend dabei zu sehen: Wo sind die Stellschrauben, was können wir machen, wo müssen wir ran? Was liegt in unserer Hand, was nicht? Wir müssen andere beeinflussen, weil es in deren Hand liegt, bestimmte Dinge zu tun. Das ist die Aufgabe von Trends.
Sandra
Es ist gut, dass du das noch mal auch so betonst. Das habe ich selbst bemerkt, dass ich auch immer in dieses Denken falle, so ein Trend, das ist dann irgendwie so. Weil ich hatte tatsächlich in der Vorbereitung auch gedacht, vielleicht können ja Trendanalysen auch zu Unflexibilität führen, wenn man dann an so einem Trend festhält.
Aber das eröffnet ja genau das Gegenteil. Ich könnte mir vorstellen, dass deswegen diese kreierten oder diese selbst gestalteten Zukunftsvisionen für Unternehmen so wichtig sind, also gerade für Unternehmen und Organisationen, um eine gewisse Flexibilität zu haben.
Johannes
Ja, genau das, was du gerade beschreibst, ist so ein ganz typisches Denken auch und gerade in Deutschland. Wir haben jetzt schon ein paar Mal in diesem Podcast die Mehrzahl von Zukunft verwendet: Zukünfte. Ich erlebe das bei meinen Vorträgen immer. Moment, ist das überhaupt grammatikalisch korrekt, gibt es das überhaupt? Es gibt doch nur die eine Zukunft. Der Duden sagt der Plural von Zukunft ist Zukünfte. Der sagt aber auch, das ist selten, das wird selten verwendet und das sagt ganz viel darüber aus.
Wir haben häufig so ein unbewusstes erstes Bild davon, dass die Zukunft eigentlich mehr oder weniger feststeht und dass es in eine bestimmte Richtung geht. Deswegen meinte ich gerade: Wir müssen uns immer wieder klarmachen, solange die Zukunft noch nicht Gegenwart geworden ist, solange existiert sie ausschließlich in unseren Köpfen. Wir haben bestimmte Erwartungen, Vorstellungen, Wünsche für die Zukunft und das ist die einzige Art, wie die Zukunft existiert, weil alles andere ist Gegenwart oder tatsächlich Vergangenheit.
Vergangenheit, die quasi auch nur noch als Erinnerung in unseren Köpfen existiert.
Dieses Denken überhaupt aufzubrechen, zu sagen ja, die Zukunft ist offen, es gibt unterschiedliche Zukünfte als Bilder, Vorstellungen, Wünsche in unseren Köpfen, das ist eigentlich das Elementare. Wenn man das mal verstanden hat, dann ist es auch tatsächlich für unsere Kund*innen und die Organisationen, mit denen wir arbeiten, genau die Möglichkeit zu sagen okay, aber wenn das offen ist, was sind denn dann tatsächlich die Möglichkeiten, die wir haben? Was ist der Horizont, wo es vielleicht hingehen könnte? Und wie wollen wir das gestalten, wo wir gerne hingehen würden? Was ist für unseren Kontext eigentlich das, was wir uns wünschen? Genau das ist die Richtung, in die es dann geht.
Sandra
Ich würde gern mal auf ein konkretes Beispiel zu sprechen kommen, denn ihr arbeitet ja auch mit den Kultur- und Kreativpilot*innen Deutschland zusammen. Und vielleicht können wir an dem Beispiel auch mal so ein bisschen aufmachen. So eine Frage wäre von mir aus auch die, wurde jetzt aber schon beantwortet, warum Unternehmen denn Trendanalysen in Auftrag geben. Bei den Kultur- und Kreativpilot*innen war es eben so, dass sie jetzt das Netzwerk inotiv aufgebaut haben und dafür eine Trendanalyse von euch haben erstellen lassen und dafür seid ihr die Bewerbungen durchgegangen der letzten Jahre.
Und da wollte ich dich fragen: Was war der Auftrag? Was wolltet ihr herausfinden und wie seid ihr vorgegangen?
Johannes
Genau. Was sie machen ist, dass sie seit zwölf Jahren diese Auszeichnung der Kultur- und Kreativpilot*innen in Deutschland machen. Das heißt da bewerben sich jedes Jahr hunderte von Kreativen aus Deutschland mit den unterschiedlichsten Projekten und Ideen und am Ende werden 32 ausgezeichnet. Wir haben gesagt, okay, ihr habt euch mit den schon 32 beschäftigt, aber 2021 gab es 765 Bewerbungen.
So, was ist denn mit all den anderen, die sich auch beworben haben? Das ist doch total spannend, wenn man sich das insbesondere aus der Distanz raussucht, diese ganzen 765 anguckt, da lassen sich doch bestimmt bestimmte Muster erkennen. Also das heißt, wir haben genau das gemacht, was ich vorhin so als unseren Prozess auch schon mal aufgezeigt habe.
Wir haben jede einzelne Bewerbung angeschaut. So eine Bewerbung besteht im Kern aus drei Fragen: Was ist deine Idee, was willst du das machen und wer bist du? Wir haben jede Bewerbung quasi als ein Signal genommen. Eine Person oder ein Team, mehrere Personen beschreiben, was sie gerne machen möchten und warum sie das machen möchten. Und wenn man jetzt anfängt, sich das anzugucken und vor allem nebeneinander zu stellen, dann merkt man oh, hier entstehen bestimmte Muster, hier bestimmte Themen, die immer wieder auftauchen oder bestimmte Stimmungen, Emotionen, Ansätze, die immer wieder auftauchen. Und das war genau das, was wir gemacht haben. Wir haben das zusammengetragen. Wir haben es zum einen qualitativ gemacht, das heißt, wir haben jetzt 765 Bewerbungen, die teilweise sehr lang waren, durchgelesen, versucht irgendwie nebeneinander zu stellen. Wir haben tatsächlich eine quantitative Bewertung gemacht mit Semantic Tools, die ganz bewusst nach bestimmten Wortgruppen suchen und all das, um zu gucken, okay, was sind die großen Themen, was sind vielleicht auch kleinere Themen, was sind so inhaltliche Themen, wie Nachhaltigkeit, Digitalisierung, bestimmte Branchen. Welche Branchen kommen häufiger vor und was ist so die Stimmung?
Was sind denn eigentlich aktuell möglicherweise Trends in der Kultur- und Kreativwirtschaft, die die Kreativen beschäftigen? So, und dann sind wir tatsächlich auch noch hingegangen, und haben gesagt okay, aus diesen Trends heraus, was könnten denn so Zukunftsszenarien, so kleine Geschichten aus der Zukunft sein, wenn diese Trends, die wir in den Bewerbungen der Teilnehmenden entdeckt haben, wenn die sich über die nächsten fünf Jahre so weiterentwickeln. Wo könnte das dann hingehen? Um auch bewusst ein positives Zukunftsbild zu machen. Wenn wir es bewusst darauf anlegen, dann haben wir hier tatsächlich spannende Möglichkeiten.
Das ist das, was wir gemacht haben.
Sandra
Was sind denn das für Trends und Zukünfte, die ihr da gefunden habt?
Johannes
Ich fange bei dem großen Thema an. Also auch für mich persönlich war das ein ganz, ganz faszinierendes Projekt, weil man muss sich glaub ich einmal kurz vor Augen führen: Die Bewerbungsphase war, ich glaube April bis Juni 2021. Das war so eine Phase des Wahlkampfs, das war eine Phase der Pandemieermüdung. Den Leuten ging es nicht gut und es gab Studien, die gezeigt haben, gerade in Deutschland, viele ziehen sich ins Private zurück, sind völlig überfordert mit der ganzen Situation.
Was wir als, sagen wir mal den großen roten Faden in diesen Einreichungen gesehen haben, ist eine Kultur- und Kreativwirtschaft, die neue Energie getankt hat, die gesagt okay, es ist eine schwierige Situation, die Pandemie hat uns wahnsinnig herausgefordert, aber jetzt nutzen wir das und fangen an, Dinge zu tun. Es wird ganz viel über 1000 Dinge diskutiert. Man müsste mal und man könnte mal und wäre es nicht nötig. Wir fangen einfach an, das ist der ganz, ganz große Tenor, der aus diesen ganzen Bewerbungen rausspricht. Ich habe hier ein Thema, ein kleines. Ich habe hier eine kleine Idee, ich habe hier einen Ansatz und ich möchte einfach loslegen. Oder ich habe schon einfach losgelegt. Das ist das, was rauskam.
Wir haben es mal so zusammengefasst, als die Kultur- und Kreativwirtschaft, als das Transformationslabor der Gesellschaft. Es gibt ganz viele transformative Themen, die in der Gesellschaft drin sind, aber die häufig immer dann sehr divers oder sehr kontrovers in Feuilletons diskutiert werden. Die Kreativwirtschaft sagt wir warten nicht mehr, wir warten nicht darauf, dass uns jemand die Erlaubnis gibt oder dass uns jemand irgendwie ganz viel Förderung gibt. Also wir legen einfach los mit unseren kleinen Prototypen eines besseren Morgens.
Das heißt zum Beispiel, dass über 44% aller Einreichungen in irgendeiner Form auf das Thema Nachhaltigkeit Bezug genommen haben. Das ist das ganz große Thema. Und ich fand das so spannend, weil wer versucht, im Alltag nachhaltig zu leben, auf bestimmte Dinge zu achten, weiß, wie schwer das manchmal ist. Man denkt okay, wenn ich jetzt das Gemüse kaufe, ah, das ist aber in Plastik eingepackt, dann versuche ich das andere Gemüse zu kaufen. Aber wo kommt das eigentlich her? Und muss ich jetzt regional kaufen? Aber regional ist manchmal höherer CO2 Abdruck als irgendwie aus Spanien. Es ist ein furchtbar kompliziertes Ding zu versuchen Nachhaltigkeit zu leben. Und hier haben wir ganz viele Einreichungen gesehen, die gesagt haben ja, wir nehmen uns hier einen Part raus und den versuchen wir jetzt ein bisschen einfacher zu machen, sei es durch ein Magazin, sei das durch ein Informationsportal, sei es durch eine Kiste, die ich bestellen kann und die mir einfach mal zeigt, wie eine vegane Ernährung aussehen kann. Wie kann das im Alltag einfacher werden? Das waren so Ansätze, die da ganz viel mit drin waren und ganz viele andere Ansätze.
Thema Digitalisierung spielt eine große Rolle. Und das spannende ist, die Digitalisierung wird nicht mehr als Ding an sich verstanden. Sondern sie wird vor allem als Tool verstanden, um Menschen zu helfen. Es ist nicht mehr so, wir machen jetzt auch was mit Digitalisierung, sondern wir brauchen hier eine App, die einer bestimmten Gruppe hilft, sich besser zu organisieren, besser zu kommunizieren. Wir bauen Online- und Digitalshops, die helfen einfacher Zugang zu bestimmten Produkten zu bekommen, die vielleicht im Supermarkt nicht zu erhalten sind. Und so weiter. Das waren so lauter Sachen, die da mit reingehen.
Etwa 120 Bewerbungen haben sich in irgendeiner Form mit Kindern beschäftigt. Auch total spannend. Wo man richtig gemerkt hat, es ist so ein Bewusstsein gerade in der Pandemie entstanden, wie häufig die Kinder so ein bisschen in der Priorität nach unten rutschen. Und hier sind ganz viele Ideen mit drin gewesen, die gesagt haben okay, wie können wir Kindern mehr Resilienz mitgeben, wie können wir ihnen helfen, eine gute mentale Gesundheit aufzubauen?
Mental Health, Mentale Gesundheit, allgemein als ein Thema riesengroß, was natürlich auch mit dem Überthema Pandemie zusammenhängt. Also wir hatten etwa über 130 Beiträge, die sich direkt auf die Pandemie bezogen haben und gesagt haben so, wir haben hier die Probleme gesehen und auch allgemein die Pandemie hat viele unterschwellige gesellschaftliche Probleme deutlich sichtbar gemacht und die Kreativwirtschaft hat gesagt alles klar, an dem versuchen wir uns jetzt einfach, versuchen wir Lösungen zu finden.
Ein Beispiel: Es gibt auch gleichzeitig so Themen wie Printmedien, Magazine. Buchverlage sind wieder durchaus ein großes Thema gewesen.
Das fand ich total spannend, das waren jetzt einfach so ein paar Auszüge von den Sachen, die wir gefunden haben.
Sandra
Denn allein deswegen ist es schon spannend, weil, du hast es ja gerade schon gesagt, dass man wirklich so denkt, ja irgendwie, was kann ich kleiner Mensch da schon machen? Und es ist doch eh alles blöd. Ich könnte mir vorstellen, wenn man das dann in dieser Zeit in der Trendanalyse sieht, auch dass man nicht alleine ist, dass das wirklich so eine Bewegung ist. Dass das schon was macht.
Johannes
Genau. Allein diese 765 Bewerbung zu lesen, hat mir so viel Hoffnung und Energie gegeben, weil ich gemerkt habe wow, hier sind richtig viele Leute, die einfach was tun wollen und was machen, die sagen ich leg einfach los, ich such mir meine kleine Baustelle und an der lege ich los und fang an was zu machen und es wäre cool, wenn es Support gibt, aber ich warte da nicht drauf. Das fand ich einfach extrem motivierend in diesem Kontext zu sehen.
Sandra
Also wer jetzt hier zuhört und keine Lust hat, sich jetzt diese Trendanalyse anzuschauen, dann weiß ich auch nicht. Deswegen verlinken wir die in den Shownotes, genauso wie die Website von Third Wace. Ich habe jetzt noch eine letzte Frage, die war eigentlich auch schon immer in deinen Antworten mit drin, aber die finde ich so wichtig zum Schluss. Warum ist es für Unternehmen und für Organisationen wichtig ist, ihre Zukünfte selbst zu entwerfen und vor allem was Trendanalysen dazu beitragen können, die Wirtschaft zu verändern, Akteur*innen zu verändern, auch die Welt zu verändern. Also einfach, dass du das vielleicht nochmal zusammenfassen kannst. Auch für alle, die bisher noch gedacht haben, dass eine Trendanalyse nichts für sie wäre.
Johannes
Ja genau. Es gibt zwei Aspekte, die mir total wichtig sind. Zum einen kommt das, was ich davor beschrieben habe, diese gewisse Lethargie – die auch letztes Jahr da war, als diese Bewerbungen für die Auszeichnung gelaufen sind – diese Lethargie, die wir alle spüren, diese Überforderung, die kommt daher, dass wir einfach eine extrem komplexe, volatile Welt haben, mit einer extrem großen, zunehmenden Unsicherheit und uns darin überfordert fühlen, weil wir ganz viel nicht verstehen und nicht verstehen: Wo kommt das her? Was genau sind die Zusammenhänge?
Ich glaube der erste Schritt ist immer, dass solche Trendanalysen immer helfen können, die Welt ein bisschen besser zu verstehen. Das ist immer unser Ziel mit diesen Trendanalysen, wo wir uns Signale angucken und dann Trends identifizieren, bis hin zu Szenarien entwickeln. Unser Ziel ist zu verstehen, wie funktioniert die Welt gerade, was beeinflusst sie und wo könnte sie sich hin entwickeln?
Jede Trendanalyse versucht, Dinge, die weitgehend unsichtbar laufen, sichtbar zu machen. Und durch diese Sichtbarkeit können wir ein besseres Verständnis entwickeln – ah, da kommt es her und das beeinflusst das und das nimmt diesen Nebel der Unklarheit ein bisschen weg. Und ich verstehe es ein bisschen besser. Ganz, ganz viel Handlungsmöglichkeit fängt damit an, dass ich Zusammenhänge besser verstehe, Dann haben wir aber das Problem, dass wie schon gesagt, unsere Welt extrem komplex und volatil ist und deswegen ganz schwierig ist zu sagen okay, aber ich habe mir das jetzt alles angeguckt und ich denke, da geht’s hin, also setze ich jetzt da drauf. Meistens, wenn man dann sagt, okay, wir haben uns jetzt entschieden, wir machen jetzt das, da hat sich die Welt schon wieder verändert.
Es funktioniert nicht mehr, sich an dem zu orientieren, was alle machen. Das ist aber wie ganz lang auch ganz viel Wirtschaft in Deutschland, auch Politik in Deutschlandfunk funktioniert hat. Wir reagieren, statt dass wir agieren. Wir sagen, okay, wir folgen bestimmten Entwicklungen, alle machen jetzt was mit künstlicher Intelligenz, dann müssen wir auch was mit künstlicher Intelligenz machen. Man macht das jetzt so. Der Part funktioniert nicht mehr. Dafür ist es viel zu komplex, viel zu schnelllebig geworden. Das einzige, was eigentlich überhaupt noch funktioniert, ist, sich bewusst davon loszumachen. Das heißt nicht, die Welt zu ignorieren, sondern sie zu verstehen. Aber dann Entscheidungen zu treffen und zu sagen: Was wollen wir eigentlich, was ist uns wichtig? Wo sind unsere Werte? Wenn du mich bei einem Bier fragst, wie stell ich mir meine ideale Welt in zehn Jahren vor? Was kommt dabei raus? Das ist dann der Part, der für uns so wichtig ist.
Bei all den Sachen, die wir sehen, wie sieht eigentlich unsere Vision für eine bessere, lebenswertere, inklusivere, gerechtere Zukunft aus? Darauf arbeiten wir mit unseren Kund*innen und den Organisationen hin, diese Vision zu definieren, um so ein Zielbild wieder vor Augen zu haben. Wenn links und rechts die Leute in alle möglichen Richtungen mit kreischenden Stimmen und wedelnden Händen panisch rumlaufen – wir haben unser Ziel vor Augen und das heißt nicht, dass wir da stur drauf hinlaufen, sondern wir müssen uns anpassen. Aber wir haben ein Ziel vor Augen. Wir haben ein Zukunftsbild vor Augen und sagen dafür lohnt es sich, sich einzusetzen, zu arbeiten, zu kämpfen. Ich glaube, aus meiner Sicht ist fast die einzige Möglichkeit, die wir haben, sich an uns selbst zu orientieren, statt immer nur dem anderen hinterherzulaufen.
Für uns geht es immer darum, wie kommen wir vom Reagieren ins Agieren. Ich glaube, das ist genau das, wir mit so einer Kombination herstellen: Trendforschung, die uns hilft, die Welt besser zu verstehen und dann so eine Zukunftsvisionsentwicklung, die uns hilft in dieser komplexen Welt zu sagen, wo ist das, wo wir hinwollen und wie kommen wir dahin. Das ist die Herangehensweise.
Sandra
Und das ist ein super schöner Satz, finde ich, der das super gut zusammenfasst, weil oft ja bei Zukünften oder bei Zukunft so eine Unsicherheit und Angst mitschwebt und eben dieses, dass man nur reagieren kann. Aber es eben wichtig ist, es zu verstehen, dass man agieren kann, was einem in allen Bereichen und gerade auch in der Wirtschaft, für Unternehmen und so wichtig ist.
Johannes
Genau. Wenn wir uns angucken, welche Organisation in den letzten Jahren erfolgreich waren, dann waren das in der Regel immer die, die ihren eigenen Weg gegangen sind oder die gesagt haben, wir wollen das. Und gerade wenn man sich die großen Tech Unternehmen anguckt, die immer sagen, hier ist unsere Vision von der Welt, die wir haben wollen. Wir müssen diese Vision nicht teilen. Wir können sagen nein, ich finde das ganz schwierig. Aber was wir uns abschauen können, ist, dass sie sagen „Wir wollen diese Welt und auf die arbeiten wir hin mit allem, was wir können!“. Davon können wir lernen.
Sandra
Cool. Auch – und obwohl ich das immer sage, stimmt es tatsächlich auch immer und bei dir besonders – wenn ich noch ewig mit dir weitersprechen könnte, habe ich habe zumindest für diesen Podcast noch die Abschlussfrage. Und zwar um das mit dem Salon Frou Frou rund zu machen: Jetzt ist die Bühnenshow bzw. das Improvisationstheater quasi vorbei. Wir bieten immer drei Optionen. Welche fiktive Auszeichnung oder reale Auszeichnung du gerne in fünf Jahren entgegennehmen würdest für die Show oder für das Improtheater, was du dir wünschst, was das Publikum mitnimmt und wie es reagiert oder was die Kritiker*innen schreiben sollen. Also suche dir gerne eins aus.
Johannes
Für mich ist es glaube ich ganz klar. Ich habe ganz klare Wünsche dafür, wie das Publikum reagiert und was es insbesondere mitnimmt. Ich würde das sogar in unserem Zukunftsimprovisationstheater am Ende so moderieren und sagen okay, jetzt nehmt euch einen Augenblick und überlegt euch, was ist die eine Sache, die ihr morgen machen wollt, die euch in die Richtung der Zukunft, die ihr euch wünscht, die ihr euch vorgestellt habt im Laufe dieses Abends, geht? Was wollt ihr tun? Und grundsätzlich was ich mir erhoffe von dem, was das Publikum mitnimmt, sind genau zwei Sachen, nämlich das eine, dass sie sagen oh, ich hab’s ein bisschen besser verstanden. Ich habe das Gefühl, der Nebel hat sich ein bisschen mehr gelichtet und ich verstehe ein bisschen mehr, was das ist. Und was mir vielleicht Angst macht. Ich möchte vor allem, dass die Leute mitnehmen, ich habe ein bisschen mehr verstanden, was mich begeistert und was ich mir eigentlich wünsche, also wo ich positive Energie habe, wo ich resigniere, da möchte ich ran und ich kann da was machen. Ich bin dem gar nicht so ausgeliefert. Es ist nicht so, dass alles für mich festgelegt wird und ich kann so ein bisschen hinterherrennen und hoffen, dass es irgendwie gut für mich ausgeht. Nee, nee, da gibt es so ein paar Stellschrauben, über die muss ich noch mal nachdenken, weil ich glaube, ich kann was machen. Ich glaube, da gibt es Handlungsräume für mich. Und wenn das unser Publikum mitnimmt, dann bin ich super glücklich.
Sandra
Was für ein schönes Schlusswort und wieder mal muss ich sagen, dass ich jetzt leider dieses Schlusswort noch ergänzen muss, um mich zu verabschieden. Ich bedanke mich wirklich sehr, dass du da warst. Es war super spannend. Ich hatte vorhin schon mal kurz gesagt wer jetzt gerne noch mehr wissen möchte über Third Wave oder auch über die Trendanalyse von den Kultur- und Kreativpilot*innen Deutschland, schaut einfach in unsere Shownotes und dann freue ich mich sehr, wenn ihr nächstes Mal wieder mit dabei seid.
Ich hoffe, euch hat es genauso gut gefallen wie mir in die Zukunft zu tanzen mit Johannes und dann ja bis nächstes Mal und schönen Tag, Morgen oder Abend noch. Ciao!